Der Ball spielende Hund
er dann hinzu. «Doktor Tanios glaubt oder behauptet, dass er glaube, es liege Beeinflussung vor. Seine Frau war jedoch nicht der Ansicht, bevor er kam. Ursprünglich wollte sie das Testament nicht anfechten. Dann ändert sie ihren Standpunkt. Das Ganze gemahnt mich an einen siedenden Kessel; dann und wann kommt etwas Bedeutsames an die Oberfläche. In der Tiefe liegt etwas verborgen, ja, davon bin ich überzeugt.»
«Vielleicht haben Sie Recht, Poirot, aber das alles ist so unbestimmt – so nebelhaft.»
«Aber Sie geben zu, Hastings, dass etwas dahintersteckt?»
«Ja», antwortete ich zögernd. «Ich muss wohl.»
Poirot beugte sich über den Tisch und sah mich fest an. «Sie sind verändert, Hastings, nicht mehr amüsiert, überlegen – nachsichtig gegen meine aus der Luft gegriffenen Theorien. Aber was hat Sie überzeugt? Meine logischen Schlüsse nicht – non, ce n’est pas ca! Irgendetwas anderes hat Sie überzeugt, hat auf Sie gewirkt. Sagen Sie mir, mein Freund, was hat Sie so umgestimmt, dass Sie die Sache jetzt ernst nehmen?»
«Ich glaube», antwortete ich langsam, «es war Mrs Tanios. Sie sah aus, als hätte sie Angst – »
«Angst? Vor mir?»
«Nein, nein. Nicht vor Ihnen. Es war etwas anderes. Sie sprach zuerst so gelassen und vernünftig – mit begreiflichem Ärger wegen des Testaments vielleicht, aber sonst schien sie sich in das Schicksal zu ergeben und die Sache auf sich beruhen lassen zu wollen. Die natürliche Haltung einer anständigen, aber ziemlich passiven Frau. Und dann plötzlich diese Veränderung – der Eifer, mit dem sie sich Doktor Tanios’ Standpunkt zu eigen machte. Und dann die Art, wie sie uns in die Halle nachkam, so verstohlen – »
Poirot nickte.
«Noch eine Kleinigkeit, die Ihnen vielleicht entgangen ist – »
«Mir entgeht nie auch nur das Geringste!»
«Ich meine den Besuch ihres Mannes in Littlegreen House an jenem Sonntag. Ich wette, dass sie nichts davon wusste – dass sie ganz überrascht war, aber sie nahm ihr Stichwort so flink auf, gab zu, dass er es ihr gesagt hatte und sie es vergaß. Das gefiel mir nicht, Poirot.»
«Sie haben Recht, Hastings, das ließ tief blicken.»
«Es machte mir den unangenehmen Eindruck der Angst. Ihnen nicht auch?»
Er nickte. «Ja, dieser Eindruck lag entschieden nahe. Trotzdem war Tanios Ihnen sympathisch, nicht wahr? Sie fanden ihn nett, offenherzig, gutmütig, freundlich – trotz ihres angeborenen englischen Vorurteils gegen Argentinier, Portugiesen und Griechen. Aber persönliche Sympathie und Antipathie sind sehr unverlässliche Ratgeber. Man darf sich nicht vom Gefühl leiten lassen, sondern von den Tatsachen.»
«Hm!», meinte ich. «Mit den Tatsachen ist es nicht weit her. Nein, nicht, Poirot! Fangen Sie nicht wieder das Ganze von vorn an!»
«Keine Angst, mein Freund, ich werde mich kurz fassen. Vor allem liegt unzweifelhaft ein Mordversuch vor, das geben Sie doch zu?»
Langsam bejahte ich.
«Très bien. Kein Mordversuch ohne Mörder. Eine der an jenem Abend anwesenden Personen war ein Mörder, zumindest der Absicht nach, wenn auch ohne Erfolg.»
«Zugegeben.»
«Wir haben also einen Mörder. Wir gehen der Sache nach – wir wühlen Schmutz auf, wie Sie es nennen würden, und verschiedene interessante Beschuldigungen kommen sozusagen ganz zufällig ans Licht.»
«Sie halten sie nicht für zufällig?»
«Das lässt sich vorläufig noch nicht sagen. Miss Lawsons scheinbar unschuldige Art, Charles’ Drohung gegen seine Tante zu erzählen, kann unschuldig gewesen sein oder nicht. Doktor Tanios’ Äußerungen über Theresa Arundell sind möglicherweise nicht böse gemeint, sondern die ehrliche Ansicht eines Arztes. Andererseits meinte Miss Peabody ihre Worte über Charles Arundells Eigenschaften vielleicht tatsächlich ernst – aber es ist eben nur eine Meinung. Und so geht das weiter.»
«Ich möchte nur eins wissen, Poirot – was denken Sie wirklich über den Fall?»
«Hastings, ich gestatte mir nicht, zu ‹denken›, wenigstens nicht in dem Sinn, in welchem Sie das Wort gebrauchen. Augenblicklich stelle ich nur bestimmte Erwägungen an.»
«Zum Beispiel?»
«Über das Motiv. Welche Motive sind hier anzunehmen? Das wahrscheinlichste ist Gewinnsucht. Wem hätte Miss Arundells Tod Nutzen gebracht, wenn sie Dienstag nach Ostern gestorben wäre?»
«Allen, ausgenommen Miss Lawson.»
«Stimmt.»
«Eine Person scheidet mithin jedenfalls aus.»
«Ja», meinte Poirot nachdenklich. «So scheint es.
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