Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
Vom Netzwerk:
bin zu alt. Zu müde. Abgesehen davon – was habe ich in all der Zeit überhaupt erreicht?
    Dessen ungeachtet wusste er, dass er vor seinem Abtreten alles in seiner Macht Stehende unternehmen musste, um zu verhindern, dass Vass noch höher aufstieg. Der Mann würde das Manifest des Konzils in sein Gegenteil verkehren, seine Ziele verbiegen und das Konzil selbst spalten.
    «Károly verlangt zu erfahren –»
    «Er
verlangt

    Vass zögerte. Dann lächelte er. «Károly bittet darum, bittet
ergebenst
darum, zu erfahren, warum Sie Dániel Meyer und andere nach London geschickt und es nicht für erforderlich gehalten haben, ihn über diese Entscheidung zu informieren.»
    Lorant starrte Vass direkt in die Augen. Meyer war der einzige
ülnök
, dessen Urteil Lorant noch trauen konnte. Das war der Grund, warum er ihn geschickt hatte. «Sie dürfen Károly sagen, dass ich kein dringendes Bedürfnis verspüre, diese Frage zu beantworten.»
    «Ich soll Sie in seinem Auftrag daran erinnern, dass der
Presidente
gehalten ist zu antworten, wenn die Mehrheit der
ülnökök
eine Frage aufwirft.»
    «Ich sehe keine Mehrheit der
ülnökök
vor mir. Ich sehe genau genommen überhaupt keinen
ülnök
, nicht einmal einen möglichen zukünftigen, wo wir schon dabei sind.»
    Vass ließ sich nicht anmerken, ob ihn die Antwort getroffen hatte. «Ich erinnere Sie lediglich, Lorant. Ich handle im Namen von Károly. Was bedeutet, dass ich die volle Autorität des
Signeurs
 –»
    «Sie haben keinerlei Autorität!»
    «Ich bin sicher, wenn ich mit Földessy spreche, wird er gleichermaßen begierig sein zu erfahren, was da vor sich geht. Da haben Sie Ihre beiden
ülnökök
, Lorant. Ihre Mehrheit.»
    «Sie sprechen jetzt also auch für Földessy?»
    «Selbstverständlich nicht. Aber ich denke, wir können mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass er genauso dringend wie ich zu erfahren wünscht, was das alles zu bedeuten hat.» Vass grinste. «Oder besser gesagt, genauso dringend wie Károly.»
    Vass hatte recht. Das war ziemlich sicher. Földessy war in den letzten Jahren zunehmend ungeduldig geworden. Ungeduldig und kompromisslos. Das war genau der Grund, warum Lorant allein Dániel Meyer ins Vertrauen gezogen hatte.
    Das Orchester war fertig mit dem Stimmen der Instrumente. Es wurde still, und das Publikum wartete gebannt.
    «Nun?», wollte Vass wissen.
    «Wenn der
Signeur
mir keine andere Wahl lassen will, dann weiß er, was er tun muss. Ich verhandle jedenfalls nicht mit einem Boten.» Lorant antwortete mit gelassener Stimme, obwohl seine Finger sich so um die Armlehnen krallten, dass die Knöchel weiß hervortraten.
    Vass erwiderte Lorants Blick. Er blinzelte zweimal aus verschleierten Augen. «Genießen Sie die Oper,
Presidente

     
    Das Taxi brachte Benjámin Vass um den Városliget herum auf die andere Seite der Stadt und setzte ihn vor dem Eingang des Széchenyi-Heilbads ab. Er zahlte, stieg die Stufen zu der neobarocken Fassade hoch und passierte die vier mächtigen Steinsäulen des Eingangs. Vor dem nächtlichen Himmel erstrahlte das prachtvolle Gebäude im Licht der Natriumlampen eidottergelb. Vass zeigte einem Wachmann in der marmorverkleideten Eingangshalle seinen Ausweis und durchquerte den Bogengang, der zu den drei riesigen Außenbecken führte.
    Schmiedeeiserne Laternen säumten die Anlage aus zwei halbkreisförmigen und einem zentralen rechteckigen Becken. Um die drei Becken erstreckten sich weitläufige gepflasterte Liegeflächen, und dahinter erhob sich das Gebäude mit seinen vielen Türmen, Kuppeln und Balkonen. Weitere fünfzehn Becken gab es im Innenbereich, allesamt gespeist aus zwei artesischen Brunnen, welche die Thermalquelle tief unter dem Stadtpark anzapften.
    Dampfschwaden trieben über dem Wasser und verhüllten die Gesichter der vielleicht hundert Badenden. Der Geruch der Mineralien stach scharf in seiner Nase, als Vass zum hinteren halbrunden Becken ging. Er fand Károly Gera in der Nähe der Treppe, wo er ein Schachspiel verfolgte, das zwei Gäste auf einer aus dem Wasser ragenden Säule aufgebaut hatten.
    Das Fleisch hing an dem alten Mann wie geschmolzenes Kerzenwachs. Seine Gesichtshaut war fleckig und grobporig und außerstande, die scharfen Kanten seines haarlosen Schädels abzumildern. Seine Augen blinzelten aus tiefen Höhlen. Die Rippen seines mit Leberflecken übersäten Rumpfes spannten unter der Haut wie die Knochenfinger eines Fledermausflügels.
    Als er Vass erblickte, löste er sich von

Weitere Kostenlose Bücher