Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
Vom Netzwerk:
gerichtet.
    «Ich mag keine Überraschungen, Gabriel», murmelte sie, als er nicht antwortete.
    Sie musste nicht lange warten. Das leise Tuckern eines kleinen Außenbordmotors erklang, und kurze Zeit später glitt ein offenes Holzboot um die Biegung. Die schlanke Konstruktion des Gefährts erinnerte an eine venezianische Gondel. Das Boot kam näher. Das lackierte Holz glänzte im Sonnenlicht.
    Hannah zählte vier Personen. Am Bug kniete ein großer Mann mit bleicher Haut und kastanienrotem Haar, das nach hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Eine dunkle Sonnenbrille verbarg seine Augen, und er trug eine schwarze Reißverschlussweste über einem cremefarbenen Polohemd. Sein Mund war eine schmale Linie. Hannah spürte, wie er sie im Schutz der Sonnenbrille taxierte, während sie am Ufer stand und mit Gabriel auf die Ankunft der Besucher wartete.
    Zwei weitere Männer saßen im Heck. Sie zeigten die gleiche Zurückhaltung und musterten Hannah genauso ausdruckslos wie der erste. Einer hatte die Hand auf der Pinne, der andere die Fingerspitzen aneinandergelegt. Alle drei sahen ernst aus, stark, wachsam. Doch es war die Gestalt in der Mitte des Bootes, gekleidet in einen weiten hellen Umhang, die Hannahs Neugier am stärksten gefangen nahm.
    Eine seidene, geschmeidig fließende Kapuze verhüllte den Kopf und ließ das Gesicht im Schatten verschwinden. Hannah spürte, wie ihr Herz wild zu schlagen anfing, und sie fragte sich, was der Auslöser für ihre plötzliche Aufregung sein mochte. Sie ballte die Fäuste, bis die Fingernägel in die Ballen schnitten. Ihre Muskeln zuckten.
    Die Gestalt saß reglos da, die Hände unter dem Stoff des Umhangs verborgen. Hannah spürte, wie eine kleine Hand in ihre glitt, und sah nach unten zu Leah, die neben sie getreten war.
    Als der Skipper mit dem finsteren Blick das Boot ans Ufer lenkte und den Motor ausschaltete, warf der Mann am Bug Gabriel ein Tau zu. Gabriel fing das Ende und zog das Boot heran. Als das Seitendeck gegen das Ufer stieß, legte er das Tau um eine Baumwurzel. «Willkommen», sagte er.
    Die Gestalt in der Mitte des Bootes hob die Hände und schlug die Kapuze zurück. Als Hannah ihr Gesicht erblickte, blieb ihr für einen Moment der Atem weg. Vor ihr saß die kühlste und schönste Frau, die sie jemals gesehen hatte. Schlank, geschmeidig, mit hellblondem, bis auf die Schultern fallendem Haar, einem klassischen, scharf konturierten Gesicht und einer Haut, die so blass und samtig glatt war wie das Blütenblatt einer Magnolie. Ihr Alter war unmöglich zu schätzen. Lavendelfarbene Augen, klar und scharf wie die eines Raubtiers, studierten Hannah mit einer solchen Intensität, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Die Frau strahlte eine angsteinflößende Macht aus. Hannah spürte, wie Leah ihre Hand fester packte.
    «Ich grüße dich, Hannah Wilde», sagte die Frau. Als sie die Lippen zu einem Lächeln verzog, schmolz ihre kalte Contenance zu einem Ausdruck so reinen und echten Mitgefühls, dass es Hannah die Kehle zuschnürte. Sie wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte, also senkte sie einfach den Kopf und zog Leah noch fester an sich.
    Der Mann mit dem Pferdeschwanz half der Frau beim Aussteigen, und sie wandte sich zunächst an Gabriel. Sie küsste ihn auf beide Wangen und umarmte ihn. «Wie geht es dir?»
    «Besser jetzt, wo ich dich sehe.»
    «Du hast immer noch diesen Akzent.»
    «Du warst diejenige, die mich nach Irland geschickt hat.»
    «Es ist ein hübscher Akzent.»
    «Ich denke, ich werde ihn nicht mehr los.»
    Sie lächelte und wandte sich an ihren Begleiter. «Ihr könnt jetzt umkehren, Illes. Danke, dass ihr mich sicher hergebracht habt.»
    Der Mann runzelte die Stirn. «Ich würde es vorziehen, an Eurer Seite zu bleiben.»
    «Du siehst mich in sicheren Händen, Illes.»
    «Aber
Főnök
 …»
    «Illes, zweifelst du an mir?»
    Der Mann mit Namen Illes senkte bestürzt den Kopf. «Nein, selbstverständlich nicht,
Főnök

    «Oh, Illes, das war nicht als Kränkung gedacht!» Ihre Miene wurde weich. «Du bist so schnell verletzt, mein Freund. Geht nur. Du weißt, wo ich bin. Du weißt, dass ich in Sicherheit bin. Ich lasse dich wissen, wenn ich abgeholt werden möchte.»
    Illes bedachte Hannah mit einem misstrauischen Blick, dann murmelte er ergeben seine Zustimmung. Er wandte sich um, stieg wieder ins Boot, und Gabriel stieß das Boot vom Ufer ab. Es drehte sich träge, bevor es Fahrt aufnahm und sich stromaufwärts

Weitere Kostenlose Bücher