Der Bann (German Edition)
mit aller Kraft konzentrierte. Die Knöchel seiner Hand fühlten sich an, als wären sie in einen Schraubstock eingespannt. Er stöhnte laut auf vor Anstrengung und Schmerz, als die Beulen auf dem Schädel des Tiers plötzlich länger und länger wurden und sich verzweigten. Der Schmerz wurde schnell unerträglich – gläserne Dolche, die ihn von den Fingerspitzen her bis zu den Ellbogen aufschlitzten.
An der Wand hob die Silhouette des Bocks den Kopf und blickte sichernd nach rechts und links auf der Suche nach potenziellen Räubern. Lukács ächzte vor Erschöpfung, und das Bild des Tiers löste sich auf. Während er allmählich wieder zu Atem kam, betrachtete er die Silhouette seiner schlaffen Finger, die jetzt brannten, als hätte er in ein Feuer gefasst.
Tränen rannen über seine Wangen. Er wischte sie mit der freien Hand weg und studierte die andere, schmerzende. Blut quoll unter den Fingernägeln hervor und tropfte auf den Boden des Schuppens, wo es sich im Staub und Sägemehl mit dem Blut der Blindmaus mischte.
Am nächsten Tag brachen sie mittags in Richtung Budapest auf. Lukács stieg zu seinem Vater auf den Bock, und die beiden Pferde schüttelten die Mähnen. Sie konnten es kaum erwarten, sich endlich in Bewegung zu setzen.
Seine Brüder hatten sich im Hof eingefunden, um sie zu verabschieden. Janis Gesicht verriet seine Verachtung, doch er hob den Arm und winkte Lukács artig hinterher, als spürte er das Missfallen seines Vaters und als wäre ihm der Preis für Ungehorsam zu hoch. Der kleine Izsák war ganz aufgeregt angesichts der Aussicht auf eine Nacht allein. Er tanzte und hüpfte auf dem Kies. József stieß einen Pfiff aus, und die Pferde trabten los. Der Wagen machte einen Satz nach vorn, und Lukács spürte, wie sein Magen rebellierte, während sie durch das Tor rollten.
Sie durchquerten das Dorf, und bald passierten sie die weißen Mauern und das rote Ziegeldach des riesigen Palasts von Gödöllő. Die Pracht des Bauwerks faszinierte Lukács jedes Mal, wenn er es sah. Die Tatsache, dass der Königliche Palast in Budapest noch viel größer und prächtiger war, versetzte ihn regelmäßig in ehrfürchtiges Staunen.
«Sehe ich Franz Joseph im Palast?», fragte er, als sie eine Stunde unterwegs waren. Nachdem sie Gödöllő hinter sich gelassen hatten, war die Straße schmaler geworden, und sie passierten Felder und Wälder.
«Bestimmt nicht», antwortete sein Vater. «Er ist der König in Österreich – das ist der einzige Grund, aus dem wir die Erlaubnis erhalten haben, das
végzet
dieses Jahr im Palast abzuhalten.»
«Er weiß nicht, was in seinem eigenen Palast vorgeht?»
«Selbstverständlich weiß er das. Aber es gilt, nach außen hin einen gewissen Anschein zu wahren. Für die Krone gelten wir offiziell nicht als Untertanen.»
Sie aßen am Straßenrand zu Mittag: geräucherte Paprikawürste, Hartkäse und Brot. Dazu tranken sie Wein; sein Vater reichte Lukács den Villány und ermunterte ihn zu trinken. Es war das erste Mal, dass Lukács Alkohol trank, und er genoss das warme Gefühl, das sich in seinem Magen ausbreitete.
«Kommen all die großen Familien auf einem Pferdekarren zum Palast?», fragte er.
«Werde nicht frech, Sohn. Du wirst nicht im Pferdekarren vorfahren. Ich habe für heute Nacht eine Kutsche gemietet. Sie kommt zu Szilárds Haus. Die Art und Weise deiner Ankunft im Palast ist die kleinste unserer Sorgen.»
Am späten Nachmittag erreichten sie Pest. Die Stadt war heiß und staubig, und der Lärm der überfüllten Straßen erfüllte Lukács’ Ohren. Sie kamen am Ufer an, und zum ersten Mal in seinem Leben erblickte der Junge den riesigen Strom der Donau. Jani hatte ihm zwar erzählt, dass der Anblick atemberaubend wäre, doch es war bei weitem das größte Gewässer, das Lukács je gesehen hatte. Im ersten Moment traute er seinen Augen nicht – welch ein unfassbares Naturwunder!
Der Fluss, so erklärte ihm sein Vater, entsprang im Deutschen Kaiserreich im Schwarzwald und wand sich fast dreitausend Kilometer durch ganz Europa, bevor er in das Schwarze Meer mündete. Die tief stehende Nachmittagssonne spiegelte sich in den braunen Fluten.
József ließ den Wagen vor einem dreistöckigen Stadthaus mit hohen bleiverglasten Fenstern halten. Ein Knabe kam heraus und brachte den Pferdekarren weg, während ein zweiter Diener sie ins Haus führte. Lukács wurde Szilárd kurz vorgestellt und dann in ein Ankleidezimmer geführt, wo man die Garderobe für den
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