Der Bann (German Edition)
Abend bereitgelegt hatte.
Die gewienerten Schuhe erkannte er wieder – den Rest der Sachen hatte er nie zuvor gesehen. Sie erinnerten zwar an die förmliche Abendgarderobe, die von den Edelleuten in Gödöllő und Umgebung getragen wurde, doch die Materialien waren noch feiner und kostbarer.
Müde schälte er sich aus seiner Reisekleidung. Er wusch sich mit Wasser aus einem Krug, den ein Diener ihm dagelassen hatte, dann zog er eine dunkle Hose und ein gestärktes weißes Hemd an. Die Kragenspitzen kratzten an seinem Hals. Er band sich eine seidene Fliege um, schlüpfte in eine Weste und schließlich in den langen, weichen, luxuriösen Frack mit den langen Schößen.
Auf einem separaten Beistelltisch wartete der letzte Bekleidungsgegenstand auf ihn – eine polierte Zinnmaske. Er nahm sie auf und drehte sie in den Händen. Die Kunstfertigkeit war beeindruckend. Er erinnerte sich an die quälend lange Sitzung, die er sechs Monate zuvor über sich hatte ergehen lassen. Die Maske zeigte eine verblüffende Ähnlichkeit mit seinem eigenen Gesicht, auch wenn der Künstler sich eindeutig Freiheiten genommen hatte. Der Ausdruck der Maske verriet Kraft, Zuversicht, Leidenschaft – alles Eigenschaften, von denen er annahm, dass sein Vater sie verlangt hatte. Gewiss jedenfalls hatte der fahrende Geselle sie nicht bei Lukács gesehen.
Um neun Uhr am Abend, getreu den Anordnungen seines Vaters, stieg Lukács in eine geschlossene schwarze Kutsche. Die Sonne stand tief, als der Fahrer auf die Széchenyi Lánchid abbog, die mächtige Kettenbrücke, die Pest am Ostufer mit Buda am Westufer der Donau verband. Die berühmte Brücke ruhte auf zwei mächtigen Steinpylonen, und die Fahrbahn war an Eisenketten aufgehängt, jedes Glied mehrere Meter lang. Es war die einzige Brücke in ganz Ungarn, die die Donau überspannte.
«Siehst du die Löwen?», fragte sein Vater und deutete auf die steinernen Wächter, die rechts und links der Fahrbahn auf den Widerlagern saßen. «Ich kannte den Bildhauer, Marschalkó. Ein guter Mann. Es heißt, die berühmten Bronzelöwen vom Trafalgar Square haben seine Löwen als Vorbild. Welch ein Können.»
Während sie die Brücke überquerten, studierte Lukács das weitläufige Bauwerk des Palastes auf der anderen Seite. Es überwölbte den Hügel, auf dem es errichtet war, und seine steinernen Mauern, golden im Licht der untergehenden Sonne, erhoben sich stolz über die umgebenden Bäume. Eine mächtige Kuppel und Dächer aus angelaufenem Kupfer leuchteten in prachtvollem Grün.
«Das schönste Bauwerk in ganz Europa», sagte József stolz. «Und heute Nacht ist es der Ort, an dem sich die edelsten Bewohner des Landes treffen. Du bist privilegiert, mein Sohn. Ich selbst habe den Ballsaal nie gesehen. Es heißt, seine Pracht wäre nicht mehr zu übertreffen.»
Die Kutsche klapperte den Hügel hinauf und hielt schließlich vor dem Eingang zum Palast. József legte Lukács eine Hand auf die Schulter und griff in eine Tasche. «Bevor du gehst, habe ich etwas für dich», sagte er. «Heute Nacht wirst du zum Mann. Es ist nur recht, dass du als mein Sohn meine edelste Arbeit trägst.» Er zog eine goldene Uhr an einer schweren Kette hervor. «Sie gehört dir. Ich habe sie bis heute Nacht für dich aufbewahrt. Ich habe das ganze letzte Jahr daran gearbeitet. Du wirst keine genauere, besser ausbalancierte Uhr finden, auch wenn es klingt, als lobte ich mich selbst. Hier, nimm.»
Sprachlos nahm Lukács die Uhr von seinem Vater entgegen. Augenblicklich spürte er ihr Gewicht. Er öffnete den Deckel und starrte auf das Ziffernblatt, während er die Kunstfertigkeit bewunderte und die Arbeit, die sein Vater zweifellos hineingesteckt hatte. Er drehte die Uhr um und bemerkte auf der Rückseite eine Gravur.
Balázs Lukács
Végzet 1873
«Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Vater.»
«Dann sag nichts. Und nun geh. Verlier sie nicht. Setz deine Maske auf, bevor du die Kutschtür öffnest. Und nimm diese Börse mit. Du wirst kein Geld brauchen, aber du solltest welches bei dir haben. Mach mich stolz, Sohn. Ich wünsche dir viel Glück. Was auch immer heute Nacht geschieht …» Sein Vater stockte. Dann nickte er in Richtung Tür. «Geh jetzt. Es ist Zeit.»
Lukács folgte zwei Dienern über das Palastgelände, während die Sonne hinter dem Hügel versank. Kerzenlicht leuchtete aus unzähligen Fenstern. Nachdem sie den herrschaftlichen Eingang passiert hatten, ging es eine breite Treppe hinauf und durch
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