Der Bann (German Edition)
Vorschein, die er sich in den Mund steckte. Das aufflammende Streichholz beleuchtete einen geölten Schnurrbart und nachdenkliche große Augen. «Dunkel hier drin.»
«Ja.»
«Bist du deswegen so gerne hier?»
«Keine Ahnung. Vielleicht.»
Samtene Rauchwölkchen stiegen nach oben und verbreiteten den Duft von Bratapfel und verbranntem Papier. «Ich habe gehört, was dein Bruder gesagt hat.»
«Es ist das, was ihr alle denkt. Er ist wenigstens ehrlich.»
«Er wird später meinen Gürtel spüren.»
Die Blindmaus zwischen ihnen hielt in ihren Bemühungen inne, während ihre Nase zitternd die Luft einsog und das Tier nach Fluchtmöglichkeiten suchte.
Lukács blickte von dem Nager auf und sah seinem Vater ins Gesicht. Józsefs Züge hatten mit dem Alter nichts von ihrer Kraft verloren. Sein Gesicht verriet selten Emotionen, und doch meinte Lukács jetzt etwas Weiches darin zu entdecken. War es Mitleid? Er wollte nichts davon, am wenigsten von seinem Vater. Es war schließlich teilweise sein Samen, der verantwortlich war für Lukács’ Missbildung.
József beugte sich vor. «Deine Wange ist aufgeplatzt. Das geht nicht. Du musst die Blutung stoppen.»
«Aber es tut weh, sie zu stoppen.»
«Tu, was ich dir sage. Ich dulde nicht, dass du morgen so aussiehst.»
Zögernd konzentrierte sich Lukács auf sein pochendes Gesicht. Er versuchte, seinen Geist von allen Ablenkungen zu befreien, genau so, wie es ihn gelehrt worden war, versuchte den bohrenden Blick seines Vaters zu ignorieren und konzentrierte sich stattdessen auf die Schwellung, die stechende Lanze aus Schmerz, wo Janis Knöchel seine Haut hatten platzen lassen. Er biss die Zähne zusammen, zwang die Muskeln in seiner Wange, sich zu kontrahieren, und wappnete sich gegen den Schmerz, als sich die Schwellung durch die gesamte rechte Seite seines Gesichts hindurch verteilte und schließlich auflöste.
«Entspann dich, Junge. Du bist viel zu verkrampft.»
Lukács bemerkte, dass er die Luft angehalten hatte. Tränen wallten in seinen Augen auf, als die Wunde glühend heiß wurde und sich schloss, während der Schmerz, wie zuvor die Schwellung, allmählich abebbte.
«Und jetzt wisch dir das Blut ab.»
Lukács gehorchte und betrachtete den roten Fleck auf seinem Handrücken.
József inhalierte Rauch und seufzte. «Nichts von alldem ist für dich normal, oder?»
Lukács schüttelte den Kopf.
«Ich schwöre, Lukács, wenn ich einen Weg wüsste, wie ich dir helfen kann …» Sein Vater streckte die Hand aus und fasste Lukács am Kinn, um sein Gesicht zu sich zu drehen. «Sieh mich an, Lukács. Zeig mir deine Augen.»
Unwillig gehorchte Lukács. Die Augen seines Vaters sahen im ersten Moment genauso aus wie immer: ein ausdrucksloses, nichtssagendes Grau. Doch dann, während er hinsah, begannen sie sich zu verändern. Grüne Streifen erschienen, indigofarbene Flecken. Die Streifen veränderten sich unablässig, entwickelten sich wie Diamanten, die in einem See aus Dämmerlicht aufstiegen und wieder versanken, ein prismatisches Schauspiel von Pigmenten, die Lukács mit ihrer Vielfalt und Schönheit in ihren Bann schlugen. Er spürte, wie die Wände des Schuppens ringsum verschwanden, als die Augen seines Vaters zu seinem ganzen Universum anschwollen. Er schwamm in einem überschäumenden Ozean mit Farbtupfern aus Türkis, Jade, Kupfer und Gold, auf einer anschwellenden Woge, in deren Gischt Pailletten aus Rubinen und Diamanten taumelten und tanzten.
Im Zentrum von alldem klafften Józsefs Pupillen wie gottverlassene schwarze Abgründe, in die Lukács zu fallen drohte, wenn er sich nicht in Acht nahm: gähnende Schlünde voller Horror und Entsetzen, die nach ihm griffen. Schönheit und Abscheu. Verführerisch und dann bedrohlich. Fürchtete er sich vor dem, was in der Dunkelheit der Augen seines Vaters lauerte? Oder fürchtete er das
Fehlen
dessen, was normalerweise dort lag?
Lukács blinzelte und brach den Bann. Er wusste, dass seine eigenen Augen stumpf waren, leblos – die Farbe von braunem Flussschlamm. Für einen kurzen Moment war er sogar froh darüber.
Dann hörte er seine Stimme. «Vielleicht noch ein Jahr. Vielleicht, wenn wir noch ein Jahr warten würden … Wir könnten nächsten Sommer zum
végzet
fahren. Vielleicht habe ich es bis dahin gelernt.» Er sah, wie sein Vater anfing, den Kopf zu schütteln, doch er drängte weiter: «Oder wir könnten den
végzet
einfach ganz vergessen. Ich könnte hier bei dir bleiben und dir in der Werkstatt
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