Der Bann (German Edition)
Karpatenbecken erobert und geeint hat. Seine Nachkommen herrschen glücklich und zufrieden – nun ja, glücklich ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber lassen wir uns davon nicht ablenken – bis ins dreizehnte Jahrhundert hinein, und dann –
PENG
!» Beckett schlug mit der Faust auf den Tisch, dass das Bier aus den Gläsern schwappte. «Desaster! Die Mongolen kommen. Millionen niedergemetzelt, Frauen und Kinder, Katzen und Hunde. Massaker folgt auf Massaker. Niemand ist seines Lebens sicher. Die Mongolen rauben und morden, brennen nieder, plündern, vergewaltigen. Es ist nicht weiter schwer zu verstehen, wie angesichts dieser Umstände eine Legende entstehen konnte, die sich um Gestaltwandler dreht.»
«Zum Selbstschutz.»
«Genau. Und das ist möglicherweise die Geburtsstunde der
életek
. Und wenn es ein Verteidigungsmechanismus ist, von dem wir reden, dann sollte man erwarten, dass sie verschwiegen sind. Wer weiß? Vielleicht traten die
életek
, nachdem die Gefahr durch die Mongolen zum Ende des Jahrhunderts vorbei war, ans Licht der Öffentlichkeit und lebten glücklich und zufrieden neben den anderen her, bis sie warum auch immer erneut in den Untergrund getrieben wurden oder das Interesse an ihrem Mythos allmählich verklang.» Beckett trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, allem Anschein nach zufrieden mit seinem Vortrag. Er trank von seinem Bier.
«Eine interessante Geschichte.»
Der Gelehrte nickte gesalbt. «Wissen Sie, Charles, ich muss schon sagen, ich habe unsere Konversation sehr genossen. Sie haben mein Interesse an den Karpaten wieder völlig neu belebt. Es gibt da etwas, das ich Sie vielleicht fragen sollte.»
«Schießen Sie los.»
Zum ersten Mal an diesem Abend wurde Becketts Gesichtsausdruck völlig ernst. «Wären Sie vielleicht daran interessiert, unserer Rollenspiel-Gruppe beizutreten?», fragte er.
Nicole und Alice blieben noch eine Woche bei Charles wohnen. Er benötigte länger als erwartet, um ihre Rückreise über den Kanal zu organisieren. Sein Bootseignerfreund hatte sich schnell bereit erklärt, den Transport zu übernehmen, doch das Umgehen der französischen Grenzbehörden war ein Verhandlungspunkt gewesen, der Charles mehrere seiner geliebten Flaschen Château Latour gekostet hatte.
Nachdem diese Komplikation gelöst war, musste Charles sich eingestehen, dass er versucht hatte, Zeit zu schinden. Je länger er in Nicoles Gesellschaft weilte, desto klarer wurde ihm, dass es nicht bloß Neugier war, die ihn zu seiner Verzögerungstaktik greifen ließ, sondern dass er sich immer stärker zu ihr hingezogen fühlte. Sie hatten im Verlauf der Tage weniger und weniger gestritten – auch wenn ihre unterschiedlichen Meinungen mehrmals dazu geführt hatten, dass Alice eingeschritten war und die beiden getrennt hatte. Sie aßen zusammen, gingen zusammen spazieren, unterhielten sich, lachten. Nicole bat ihn, eine Aufnahme seiner Radio-Dokumentation abzuspielen, und dann verspottete sie ihn schonungslos, während sie lauschte. Er lernte eine andere Seite an ihr kennen während dieser Abende. Wenn ihre Schilde unten waren, scherzten sie geradezu liebevoll miteinander. Er war hinterher häufig wie berauscht von der Erfahrung.
Am Abend, bevor die beiden Frauen nach Frankreich aufbrachen, überredete er Nicole, mit ihm in einem französischen Restaurant im Zentrum von Oxford essen zu gehen. Vor wem auch immer sie auf der Flucht war, die Wahrscheinlichkeit, ihm an einem bestimmten Abend in einem bestimmten Restaurant in einer bestimmten Stadt zu begegnen, war minimal.
Als sie in dem winzigen Lokal Platz genommen hatten, bestellte Nicole zu seiner Freude
escargots
, und Charles beglückte sie damit, eine zu probieren. Während er sie über den Tisch hinweg beobachtete, versuchte er, sich ihr Gesicht einzuprägen, so gut er konnte. Sie trug das Haar an diesem Abend offen, und kastanienbraune Locken fielen über ihre Schultern. Die Sommersonne hatte ihr Gesicht gebräunt und Sommersprossen auf ihre Wangen gezaubert.
Nicole bemerkte seinen Blick und hob eine Augenbraue. «Sie sehen mich schon wieder so an.»
«Wie sehe ich Sie an?»
«Ich weiß nicht.
So
halt. Ich weiß nie, was Sie denken, wenn Sie mich so ansehen.»
«Ich denke, dies ist wahrscheinlich das letzte Mal für eine ganze Weile, dass ich Sie sehe. Ich hoffe nur, es ist nicht das letzte Mal.»
Nicole trank einen Schluck von ihrem Wein und stellte das Glas zurück. Sie sah auf ihren Teller, dann blickte sie
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