Der Bann (German Edition)
hatte – Jakab –, der besessen gewesen war von ihrer Großmutter. Es bestand die Möglichkeit, dass er noch immer irgendwo da draußen lauerte. Und nachdem Anna gestorben war, lauerte er jetzt vielleicht uns auf.»
Nicole sah auf und versuchte seinen Gesichtsausdruck abzuschätzen. «Natürlich dachte sie, er wäre ein
hosszú élet
. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Tagebücher bereits gelesen. Wenn man so etwas liest …» Sie nahm einen weiteren Schluck. «Ich erwarte nicht, dass Sie das verstehen. Oder glauben. Lassen Sie mich es so formulieren. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein
hosszú élet
. Stellen Sie sich vor, die Geschichten, die man sich erzählt, entsprechen der Wahrheit, und Sie verfügen über diese Fähigkeit. Und stellen Sie sich weiter vor, die Frau, von der Sie besessen sind, ist mit einem anderen verheiratet. Und hasst Sie. Stellen Sie sich vor, dass es Ihnen, obwohl Sie es wissen, egal ist, dass Sie nichts anderes wollen, als sie zu besitzen …»
Er schüttelte den Kopf und drehte die Handflächen nach oben.
«Charles, Sie werden zu dem Mann, den sie liebt! Sie treten an seine Stelle! Meine Mutter war ihr ganzes Leben lang vor dieser Möglichkeit auf der Hut. Doch damals, ohne zu wissen, was auf uns zukam, erschien es mir wie Aberglaube, eine Reihe exzentrischer Tagebücher, vererbt durch die Generationen, zusammen mit Warnungen von einer Familie, die sich von ihren eigenen Kamingeschichten hat mitreißen lassen. Das war, bevor wir anfingen, die Veränderungen zu bemerken.
Mein Vater Eric war ein ruhiger, freundlicher Mann. Schreiner von Beruf. Wenn er nicht in seiner Werkstatt war und Möbel anfertigte, baute er Spielsachen für mich und meine Freundinnen im Dorf. Wir wohnten in einem winzigen Haus ein klein wenig außerhalb von Carcassonne. Ein Neuer zog in die Gemeinde. Petre nannte er sich. Er und mein Vater freundeten sich an. Petre ging bei uns ein und aus. Aß mit uns, war ständig bei uns. Er begann eine Lehre bei meinem Vater, obwohl beide fast im gleichen Alter waren. Arbeit war Mangelware. Die Leute nahmen, was sie kriegen konnten.
Doch mit der Zeit begann Petre, sich an meine Mutter heranzumachen. Er kam zu uns nach Hause, wenn er wusste, dass mein Vater nicht da war. Er fing an, Geschenke für sie zu kaufen. Mein Vater muss gesehen haben, was kam. Ich denke, er zögerte zu handeln, weil er seinen Freund so sehr mochte. Eines Nachmittags, als Petre einen weiteren Annäherungsversuch unternahm, kam es zum Streit. Vater war ein friedfertiger Mann, doch was zu viel war, war zu viel. Er drehte durch. Er suchte seinen Lehrling und verpasste ihm eine Tracht Prügel. Wir sahen Petre nie wieder. Jeder im Dorf wusste, was passiert war. Der Mann konnte nirgendwo bleiben, bekam nirgendwo zu trinken oder zu essen, keine Arbeit. Er war erledigt. Alle liebten Eric, und niemand würde einem Kerl verzeihen, der ihn auf diese Weise betrogen hatte.
Einige Zeit später bemerkten wir Veränderungen an meinem Vater. Zuerst hörte er auf, Spielzeuge zu schnitzen. Das war jedenfalls das Erste, was mir auffiel. Meine Mutter – sie hat nie mit mir darüber geredet, aber ich denke, ihre Beziehung …» Nicole schluckte. Sie hatte Mühe zu reden. «Sagen wir, ihre körperliche Beziehung veränderte sich von liebevoll und gesund zu gewalttätig und pervers. Die Streitereien fingen an. Mein Vater vergaß eine Menge Dinge aus unserem früheren Leben. Ich erfand Geschichten über Dinge, die wir unternommen hatten, und er nickte zustimmend oder lachte mit mir zusammen, obwohl nichts der Wahrheit entsprach.
Dann eines Tages fanden sie draußen vor dem Dorf den Leichnam. Er war seit einer Weile verscharrt gewesen, und das Gesicht war nicht mehr da. Jemand hatte es herausgeschnitten. Die Gendarmerie konnte den Toten nicht identifizieren. Aber meine Mutter wusste Bescheid.»
Charles nickte. Er war fasziniert von ihrer Geschichte und voll Besorgnis wegen ihres Zustands, während sie redete. «Was geschah dann?»
«Eines Abends brachte meine Mutter mich zu Freunden. Sie machte meinen Vater betrunken, bis er komatös war, steckte ihn ins Bett und versperrte die Tür. Dann ging sie nach unten, vernagelte das Haus und steckte es an.»
«Mein Gott.»
«Sie holte mich mitten in der Nacht ab, und wir fuhren nach Norden. Wir kehrten nie wieder zurück.»
Nicole lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Sie lächelte ihn an und wischte sich Tränen aus den Augen. «Das ist alles. Was denken Sie jetzt? Immer noch
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