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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
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haben …», sagte Charles. «Aber könnten Sie mich vielleicht trotzdem an Ihrem Wissen teilhaben lassen, bevor sie hier die letzte Runde einläuten?»
    Beckett klatschte entzückt in die Hände. «Wunderbar! Absolut wunderbar formuliert. Selbstverständlich lasse ich Sie teilhaben, Charles. Ich muss das alles selbst noch einmal überprüfen – ich erinnere mich nicht mehr genau, ob es aus den deutschen Märchen stammt, aus den slawischen Erzählungen oder von ganz woanders her kommt. Ich nehme an, es spielt keine Rolle. Möglicherweise gibt es ähnliche Geschichten über sie in einer ganzen Reihe unterschiedlicher Quellen, was völlig normal wäre. Sie heißen auch nicht immer so.
Életek
 – oder, um genau zu sein,
hosszú életek
, ist ein ungarischer Begriff.»
    «Sie? Plural?»
    «Ein Volk oder ein Stamm.
Hosszú életek
bedeutet so viel wie ‹langes Leben›. Oder ‹Langlebige›.» Er verstummte ein weiteres Mal und knackste mit den Fingern. «Ich bin nicht sicher, ob es eine wörtliche Übersetzung ist. Es könnte eine leichte Verfälschung sein.»
    «Okay, halten wir uns nicht unnötig mit der Etymologie auf.»
    «Gott bewahre!» Beckett leerte sein Bier. «Die nächste Runde geht wieder auf Sie?»
    Kopfschüttelnd zückte Charles seine Geldbörse. Einige Minuten später, mit frischen Pints auf dem Tisch, lehnte er sich zurück und wartete darauf, dass Beckett weiterredete.
    «Ich habe darüber nachgedacht, während Sie an der Theke waren», begann er. «Ich sagte Ihnen ja bereits, ich weiß mehr, als ich dachte, stimmt’s? Es kommt nach und nach zum Vorschein. Ich bin im Verlauf meiner jahrelangen Forschungen mehrmals auf sie gestoßen. Soweit ich mich entsinne, muss es sich um verschiedene Quellen gehandelt haben, denn die Geschichten unterscheiden sich. Wirklich erstaunlich, so ein Gehirn. Wie dem auch sei, das ‹Lange Leben› ist nur ein Teil des Ganzen. Der eigentlich entscheidende Punkt der Legende ist, dass die
hosszú életek
ihre Gestalt verändern konnten.»
    «Gestaltwandler?»
    «Ein weitverbreitetes Thema in der Mythologie, nicht wahr? Manchmal strafend, manchmal schützend. Oftmals räuberisch. Selbst die eher zeitgenössische psychologische Wandlung ist vorhanden, beispielsweise Jekyll und Hyde.»
    «Und die
életek

    «Das ist der Punkt, an dem die Geschichten divergieren. Viele sprechen von den
hosszú életek
, wie wir über eine andere Kultur oder eine andere Gesellschaft reden würden. Wir würden die Franzosen nicht ganz allgemein als böse oder räuberisch klassifizieren, nicht wahr? Oder alle Japaner als verschlagen und betrügerisch? Die életek sind lediglich ein weiterer Aspekt unseres Erbes. Selten, doch nichtsdestotrotz gegenwärtig. Sie bewegen sich durch die Welt, größtenteils unsichtbar und lediglich dem Adel der jeweiligen Länder bekannt, in denen sie wohnen. Viele von ihnen
gehören
zum Adel. Man sollte logischerweise annehmen, dass Langlebigkeit und Tarnung ihnen einen gewissen Vorteil in den politischen Zirkeln verschaffen.» Beckett lachte auf. «Genau genommen in jeder Art von Zirkeln, machen wir uns nichts vor.»
    «Aber nicht alle Legenden stimmen in diesem Punkt überein.»
    «Nein. Und an dieser Stelle wird es interessant. Es scheint eine klare Trennung zu geben. Es steht zu erwarten, dass die eine oder andere Überlieferung einer Geschichte wie dieser einen etwas böseren Ton hat. Märchen, die man kleinen Kindern erzählt, um sie zu Gehorsam anzuhalten beispielsweise. Es gibt reichlich von dieser Sorte. Was ich jedoch als faszinierend empfand, war die Tatsache, dass diese Geschichten viel später aufgetaucht sind. Man findet fast keine, wenn man weiter als zweihundert Jahre oder so in die Vergangenheit zurückgeht. Es ist, als wäre damals etwas geschehen, das die allgemeine Meinung gegen die
életek
umschwingen ließ.»
    «Sie sprechen von ihnen, als würden sie tatsächlich existieren.»
    «Es ist die Gesellschaft, die glaubt, dass sie existieren. Und es gibt jede Menge Beweise dafür. Wenn Sie die Legenden zusammennehmen, ein paar Annahmen hinzufügen und alles mit ein wenig Phantasie verrühren, kommt eine Geschichte von einer Rasse heraus, die bis vor etwa fünfhundert Jahren unerkannt in Osteuropa lebte. Es ist keine Überraschung, dass der gestaltwandlerische Aspekt ihrer Natur im Vordergrund steht. Bedenken Sie den Kontext. Im neunten Jahrhundert haben wir Árpád, den Magyarenführer, mit seinen Blutsbrüderschaften, der das gesamte

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