Der Bann (German Edition)
Kopfhaut und tätowierten seinen Skalp mit Feuer. Er konzentrierte sich, unterdrückte den Impuls zu schreien und
drückte
noch fester als zuvor. Er erreichte die Barriere, wo der Schmerz einfach zu groß wurde, und warf sich mit aller Macht dagegen. Einmal, zweimal, ein drittes Mal, und dann brach sie plötzlich zusammen, und er war hindurch.
Er rang nach Atem. Als er die Augen aufschlug, sah er Schweißperlen auf seiner Stirn. Sein Gesicht war rot und weiß gefleckt. Er hob die Hand zum Kopf und zog an einem Büschel Haare, bis es sich von der Haut löste. Er untersuchte die Haut darunter und entdeckte einen kastanienroten Flaum. Der Flaum hatte genau die gleiche Farbe wie das Haarbüschel auf der Kommode.
Lukács schloss erneut die Augen und ertrug eine weitere Minute lang sengenden Schmerz und glühende Hitze auf dem Kopf. Durst überkam ihn, furchtbarer Durst. Er trank in gierigen Zügen Wasser aus einem Krug, während er seine Kräfte sammelte.
Er ging zu dem bewusstlosen Márkus und untersuchte ihn eingehend. Er betrachtete das Gesicht aus jedem Blickwinkel und ging so nah heran, dass er die Poren seiner Nase sehen konnte, die Haare in seinen Nasenlöchern, das Schmalz in seinen Ohren, die Essensreste in seinen Mundwinkeln. Dann nahm er Márkus’ gefesselte Hand und betastete sie, untersuchte die Schwielen, die gerissenen Fingernägel, die zerschrammten Knöchel. Er suchte Márkus von oben bis unten nach Muttermalen ab, nach Hämatomen, Narben, Schnitten. Er inspizierte die Brustbehaarung, die Brustwarzen, die Genitalien.
Er beugte sich noch weiter vor und sog schnüffelnd die Luft ein, die aus Márkus’ Mund kam, den Gestank, der von seinen Achselhöhlen aufstieg. Er senkte den Mund über den Schamhügel und inhalierte. Er wich angewidert zurück, wandte sich wieder dem Oberkörper des Bewusstlosen zu, betastete die Muskeln, die Festigkeit von Bizeps und Trizeps, Deltamuskel und Brustmuskeln.
Als er zufrieden war, zog er den Rest seiner Bekleidung aus und legte sich direkt neben Márkus auf den Fußboden. Er drehte den Kopf zur Seite, sodass er Márkus sehen konnte, falls es nötig wurde, atmete ein letztes Mal durch und schloss die Augen.
Er würde nicht schreien.
Als der Schmerz begann, als das Feuer durch ihn peitschte, seine Haut sich streckte und seine Muskeln spielten, als sich sein Rücken durchbog und seine Füße auf dem Boden trampelten, da glaubte Lukács für einen Moment, seine Zähne würden bersten und seine Augen im Schädel explodieren. Seine Finger gruben sich in das Holz des Bodens, die Fingernägel scharrten, die Knöchel knackten. Sein Herz schlug wild und so angestrengt in seiner Brust, dass Lukács befürchtete, es könnte platzen.
Als es vorbei war, lag er in betäubter Lähmung da. Wogen von Schmerz schlugen über ihm zusammen. Er ließ es geschehen, zwang sich zu atmen und es auszuhalten, bis sie nach und nach abebbten.
Sinneseindrücke überfluteten seine veränderte Gestalt. Er spürte, wie die Haare seines Körpers die winzigen Luftbewegungen im Raum registrierten. Die Umgebungsgeräusche des Hotels hatten eine neue Qualität. Er spürte die Luft deutlicher in seine Lungen strömen als zuvor. Er brachte Finger und Daumen einer Hand zusammen und fühlte die Schwielen auf den Ballen.
Schließlich öffnete er die Augen, mühte sich auf die Knie und kroch zum Bett. Hunger brannte in seinem Magen, doch darauf war er vorbereitet. Er riss ein Paket auf und schlang Würzfleisch, Hartkäse und süßes Gebäck hinunter. Speichel troff von seinem Kinn. Er spürte, wie Magensäfte die Nahrung augenblicklich angriffen und in ihre Bestandteile zerlegten und wie neue Energie durch seine Adern strömte.
Als er seinen Heißhunger gestillt hatte, zog er sich an, ging zur Kommode und trank in großen Zügen den Rest des Wassers aus dem Krug. Dann, endlich bereit, das Resultat zu begutachten, hob er das Kinn und sah in den Spiegel.
Das Spiegelbild, das ihm entgegenstarrte, war eine Statue, reglos und still. Nach einer Minute beugte sie sich vor und untersuchte ihre Zähne, die Nase, die Lippen. Strich sich mit einer Hand durch das kastanienbraune Haar. Öffnete den Mund zum Reden. «Sehe ich vielleicht aus, als wäre ich empfindlich?», fragte sie. Das Spiegelbild drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, betastete die Wangen, das raue Kinn. Es atmete tief ein. Und dann verzog es den Mund zu einem Grinsen. «Ich könnte so leben», sagte es. «Ehrlich, ich könnte das.»
Márkus
Weitere Kostenlose Bücher