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Der Bann (German Edition)

Der Bann (German Edition)

Titel: Der Bann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen L. Jones
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sicher, niemals so viel Frieden erlebt zu haben und eine derart komfortable Anonymität.
    Nachdem er Gödöllő verlassen hatte, war er mit dem Dampfer nach Süden gefahren, dem Verlauf der Donau durch Serbien und zwischen Rumänien und Bulgarien hindurch gefolgt, bevor ihm bewusst geworden war, dass er es seinen möglichen Verfolgern unnötig leicht machte. Er hatte sich dann von der Donau abgewandt und war nach Norden gereist, nach Bukarest, und hatte von dort aus die Berge zurück nach Ungarn überquert, um rechtzeitig zum Sommer den Plattensee zu erreichen – und mit ihm Erna Novák zu sehen.
    Als der letzte rote Streifen Sonne hinter den Hügeln versank, wurden die Wasser des Sees dunkel, und ringsum schien sich eine kühlere Brise zu erheben.
    «Jakab?»
    Er drehte sich um, und da war sie. So stark war ihre Wirkung auf ihn, dass sein Atem schneller ging, sein Herz erblühte. Dort stand sie in einem Etuikleid aus rauem Leinen und Ledersandalen, Gesicht und Arme gebräunt von der Sonne, sich der Gefühle bewusst, die sie in ihm erweckte und für die er keine Erklärung hatte. Ihr Haar fiel offen herab und umrahmte ihr Gesicht, und die dunklen Locken waren von der Sonne honiggolden gebleicht. Schokoladenbraune Augen, durchsetzt mit Olivgrün und Karamell, blitzten ihn an und ließen seinen Puls schneller gehen.
    Jakab zog sie an sich, presste die Lippen auf ihren Mund, schlang seine Finger um ihre. «Die Sonne geht gerade erst unter. Komm, lass uns eine Weile am Ufer spazieren gehen. Ich möchte –»
    «Jakab, warte. Ich muss dir zuerst etwas sagen.»
    Er grinste. «Sag es mir später. Wir haben den ganzen Abend vor uns. Ich habe eine Überraschung für dich.» Er ließ ihre Hand los und fasste sie am Arm. Ihre Haut war warm und köstlich feucht unter seinen Fingern. «Komm, hier entlang. Ich verspreche dir, es ist die Mühe wert.»
    Für einen kurzen Augenblick ließ sie sich von ihm weiterziehen. Dann wurde sie langsamer, und auf ihrem Gesicht standen Sorgenfalten. «Jakab, nein. Bitte. Ich glaube, was ich dir sagen muss, ist wichtig.»
    «Was denn?»
    Erna suchte in seinem Gesicht. «Fremde sind in die Stadt gekommen. Sie waren heute Nachmittag in der Taverne meines Vaters und haben nach dir gefragt.»
    Jakab fühlte sich, als hätte ihm jemand Eiswasser über den Rücken gekippt. «Fremde? Was für Fremde? Wie viele?»
    «Zwei. Einer groß und breit gebaut, vielleicht ein paar Jahre älter als du. Dunkles Haar. Der andere um die fünfzig. Narbiges Gesicht, gefährliche Augen.»
    Jakab versuchte sich nichts anmerken zu lassen und völlig ruhig zu bleiben, als er sie zwischen hohen Gräsern hindurch den Pfad entlangführte. «Was für Fragen?»
    «Jakab, bist du in Schwierigkeiten?»
    «Nein, selbstverständlich nicht! Sag mir, was für Fragen haben sie gestellt?»
    «Sie haben mit meinem Vater geredet, als ich vom
piac
zurückkam. Haben ihm Fragen über dich gestellt. Wie lange er dich schon kennt, wie lange du mich kennst. Wo sie dich finden können.»
    «Haben sie dich gesehen?»
    «Ich glaube nicht.»
    «Haben sie gesagt, wer sie sind?»
    «Ich war nicht da, als sie kamen. Nach dem, was ich gehört habe, sind sie alte Freunde von dir. Aber es war etwas Eigenartiges an ihnen, insbesondere an dem Älteren der beiden. Wer sind diese Männer, Jakab?»
    Jakab.
Als er den
Kirekesztett
-Namen gehört hatte, den der
tanács
ihm gegeben hatte, hatte er ihn nur zu bereitwillig angenommen als neues Statussymbol. Es war ein stolzer, hemmungsloser Akt gewesen, eine kindische lange Nase. Es wäre besser gewesen, einen Namen zu wählen ohne Verbindung zu seinem vergangenen Leben. Er wusste, dass die
hosszú életek
ihn jagten, um ihn wegen seiner Taten in Budapest zur Verantwortung zu ziehen. Warum um alles in der Welt hatte er es ihnen unnötig leicht gemacht?
    Im Rückblick auf die Ereignisse, die zu seinem Fortgehen aus Gödöllő geführt hatten, erkannte er die Person nicht wieder, die er damals gewesen war. Jene Zeit enthielt schreckliche Erinnerungen – Erinnerungen an Taten, für die er sich heute schämte. Ganz gleich, unter welchem Druck er gestanden oder welcher Konflikt in ihm getobt hatte, nichts konnte entschuldigen, was er Krisztina angetan hatte. In Bukarest hatte er in einer Zeitung gelesen, dass Márkus Thúry gehängt worden war. Auch das bedauerte er, wenngleich nicht annähernd so sehr wie das, was er mit dem Mädchen gemacht hatte. Er hatte Márkus’ Stelle eingenommen in dem festen Glauben,

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