Der Bann (German Edition)
Während Jakab den Bolzen aus ihrem Hinterkopf ragen und die Überreste ihres wunderbaren Wesens und ihre Erinnerungen von der Spitze tropfen sah, spürte er, wie sich sein Zwerchfell zusammenzog. Er stieß einen gequälten Schrei aus, einen Laut, der in seinem Kopf widerhallte und der nicht mehr aufzuhören schien, niemals aufhören konnte.
Hans riss die Axt aus dem Rücken des
Merénylő
, und der Assassine des
Főnök
kippte in Zeitlupe aus dem Sattel. Er landete mit einem hässlichen Geräusch auf dem Gesicht. Ernas Ehemann trat über den Gefallenen, hob die Axt hoch über den Kopf und brachte sie ein zweites Mal ins Ziel. Diesmal durchtrennte die Klinge das weiche Fleisch des Halses und die Wirbel darunter. Der Kopf rollte davon. Hans ließ die Axt fallen, stolperte zur Seite, sank auf die Knie. Er hob beide Hände hoch über den Kopf.
Jakab zwang sich, zu Erna zu sehen, sich jedes grausige Detail einzuprägen. Er war aus freien Stücken von den
hosszú életek
weggegangen, doch sie waren ihm gefolgt, hatten ihm den eigenen Bruder hinterhergeschickt. Sie hatten ihn gezwungen, Jani zu töten, und danach hatten sie diese abscheuliche Kreatur ausgesandt.
Jetzt war der
Merénylő
ebenfalls tot – doch bevor er gestorben war, hatte er auch Jakabs Leben beendet. Zwar atmete er noch, doch er hatte Jakab das Wertvollste genommen.
Es war vorbei. Er wusste beim besten Willen nicht, was er jetzt tun sollte.
Es war vorbei.
Alles war vorbei.
Jakab stieß den Atem aus, hörte ihn zischen, als er seine Lippen passierte. Es war ein Ausströmen, ein letzter Erguss. Er hob die Arme, bis sie seitlich ausgestreckt von seinem Rumpf wegzeigten. Eine unheimliche Ruhe senkte sich über ihn.
Nichts war mehr übrig. Überhaupt nichts.
Er bedachte den zweiten Reiter mit einem besiegten Grinsen.
Und dann ließ er sich hintenüberfallen. Der Schwung riss ihn mit, und er spürte einen eisigen Schock, als er auf das Wasser prallte. Die Oberfläche des Sees teilte sich, und dann nahm er Jakab auf, und Kälte überflutete ihn, als er hinabsank, während es in seinen Ohren grabesstill wurde.
Der Nebel schloss sich über ihm und den Wellen.
Kapitel 13
Paris
1979
N icole Dubois und Charles saßen an einem kleinen runden Tisch unter der Markise des Café de Flore, an der Ecke des Boulevard Saint-Germain und der Rue Saint-Benoît. Nicole rührte ein Stück Zucker in ihren Espresso.
Auf dem Boulevard herrschte reger Verkehr. Charles beobachtete, wie ein verbeulter alter Citroën, ohne langsamer zu werden, um eine Gruppe von Touristen herumkurvte, die die Kreuzung überquerten. Der Wagen verschwand mit quietschenden Reifen um die Ecke in einer Wolke schwarzer Auspuffgase. Der Fahrer hielt das Lenkrad mit einer Hand, während er mit der anderen wild aus dem Fenster gestikulierte.
Nicole blickte Charles an. Ihr Gesichtsausdruck war grimmig. «Später an jenem Morgen …», fuhr sie fort, «… begrub Hans Fischer seine Frau in einem improvisierten Grab am Ufer des Plattensees.»
«Erna Novák», sagte Charles.
Bevor Nicole England verlassen hatte, hatte sie ihm eine Übersetzung der ältesten Tagebücher gegeben, geschrieben von Hans persönlich. Charles hatte zwei Abende benötigt, um alles zu lesen. Er hatte genug von den Originalen gesehen, um zu erkennen, dass die Übersetzungen akkurat waren. Sie hatten ihn weit nervöser gemacht, als er dies für möglich gehalten hätte.
Nicole nickte. «Meine Ururgroßmutter. Es war das Jahr 1879 . Sie war siebenundzwanzig Jahre alt. Sie war gerade erst drei Jahre mit Hans Fischer verheiratet gewesen. Sie starb, weil sie versuchte, Jakab vor den Leuten zu beschützen, die ihn jagten. Nachdem Hans seine Frau begraben hatte, kehrte er nach Keszthely zurück, packte seine Siebensachen, verabschiedete sich von seinen Eltern und verließ noch am selben Morgen zusammen mit seinem Sohn Carl die Stadt. Der Junge, mein Urgroßvater, war zu diesem Zeitpunkt noch keine zwei Jahre alt. Beide kehrten nie wieder nach Keszthely zurück.»
Charles konnte nicht sagen, ob es ein reines Hirngespinst war oder das Ergebnis eines schockierenden Erlebnisses, gepaart mit Aberglauben, doch die Geschichte aus Nicoles Mund zu hören hob sie aus der Vergangenheit mitten hinein in das Hier und Jetzt. Weder Charles noch Nicole konnten wissen, was sich damals in Keszthely tatsächlich abgespielt hatte, doch es stand fest, dass Erna Novák etwas Schlimmes widerfahren war. Es hatte Charles einige Mühen gekostet, die
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