Der Baron und die widerspenstige Schöne
Satin-, Seiden- und Samt-Abendroben hereinkommen zu sehen. Die Gentlemen erschienen im schwarzen oder dunkelblauen Frack mit Kniehosen oder Pantalons. Gelegentlich sorgte die Uniform eines Offiziers für einen Farbtupfer unter den sonst dunkel gekleideten Herren.
Einige der Gäste kannte Carlotta bereits, wie Mr. und Mrs. Price oder ihre Tochter Julia. Viele allerdings waren ihr fremd. Bald schwirrte ihr der Kopf vor lauter Namen, und sie fürchtete, sie nicht alle im Gedächtnis behalten zu können. Mr. Woollatt erschien erst, als die Orchestermusiker bereits ihre Plätze einnahmen, und erging sich unverzüglich in einer weitschweifigen Entschuldigung.
„Meine liebe Lady Broxted, zu gerne wäre ich früher zu diesem festlichen Anlass eingetroffen. Bedauerlicherweise hat mich das Gespräch mit dem Verwalter meines Landsitzes aufgehalten. Er traf heute in der Stadt ein, und es gab diverse Dinge, die der sofortigen Klärung bedurften.“ Er beugte sich über Lady Broxteds behandschuhte Hand. „Eigentlich hegte ich die Absicht, einer Ihrer ersten Gäste zu sein“, fuhr er fort und verbeugte sich nun galant vor Carlotta, „um sicher sein zu können, dass Miss Rivington mir die ersten beiden Tänze schenkt.“
Errötend wiederholte Carlotta die Ausrede, die bereits mehrere andere Herren an diesem Abend zu hören bekommen hatten. „Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir, aber ich werde gewiss noch eine ganze Weile nicht tanzen. Wie Sie sehen, gehört es zu meinen Pflichten, die Gäste zu begrüßen …“
„Unfug, Kindchen“, fiel Lady Broxted ihr ins Wort. „Bis auf einige wenige sind alle eingetroffen. Du hast deiner Pflicht Genüge getan.“ Sie bedachte Carlotta mit strahlendem Blick. „Nehmen Sie meine Nichte nur mit, Mr. Woollatt. Carlotta hat die ersten beiden Tänze noch nicht vergeben. Sie sollen nun quasi die Belohnung dafür sein, dass sie so viel Geduld zeigte und so lange neben mir ausharrte.“
Das triumphierende Lächeln ihrer Tante ließ Carlotta vermuten, dass diese die Sache geplant hatte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als Mr. Woollatt in den Saal zu begleiten und ihren Platz zwischen den Tanzenden einzunehmen.
Luke traf mit seinem Bruder und seiner Schwägerin in Broxted House ein, als der zweite Tanz endete. Lady Broxted hatte inzwischen ihren Posten am Treppenabsatz verlassen, doch eilte sie rasch zu ihnen herüber, als sie den Saal betraten.
„Bitte entschuldigen Sie unsere Verspätung, Madam“, sagte James und beugte sich über Lady Broxteds Hand. „Wenn Adele nicht eine Ewigkeit gebraucht hätte, um ein Kleid auszuwählen, wären wir eine Stunde eher eingetroffen.“
Adele schlug ihm neckisch mit dem Fächer auf den Arm. „Du weißt sehr gut, James, dass es nicht an mir lag. Gib lieber zu, dass du Schwierigkeiten hattest, dein Krawattentuch zu binden.“
„Ich gebe gar nichts zu, besonders nicht vor meinem Bruder.“
Luke lächelte flüchtig. Er wünschte, er hätte ihrem Drängen nicht nachgegeben und wäre zu Hause geblieben.
Lady Broxted lächelte ihn herzlich an und reichte ihm die Hand zum Gruß. „Da sie alle drei bereits mit meiner Nichte bekannt sind, haben Sie ja nichts versäumt.“ Stolz fügte sie hinzu: „Allerdings fürchte ich, meine Herren, dass Carlotta bereits für jeden Tanz vergeben ist.“
Luke ließ den Blick durch den Saal schweifen. Er entdeckte Carlotta inmitten einer Gruppe lachender, plaudernder junger Menschen.
„Das ist wahrlich eine herbe Enttäuschung, Madam“, erwiderte er höflich.
Lady Broxteds Versuche, ihm eine andere junge Dame zum Tanz zuzuführen, lehnte er indes ab, und als Adele mit ihrer Gastgeberin davonschlenderte, zogen sich die Brüder in eine stille Ecke zurück.
„Heraus mit der Sprache, Luke. Warum ziehst du solch ein langes Gesicht? Du wirkst in letzter Zeit reichlich zerstreut. Du hast mehrere unserer Einladungen zum Dinner abgelehnt, selbst an den Spieltischen sieht man dich nicht mehr. Wenn ich dich nicht besser kennen würde, könnte ich glatt denken, du seist verliebt.“
Luke spürte, wie seine Wangen heiß wurden. „Solch eine Dummheit würde ich nicht begehen“, erwiderte er rasch.
James lachte auf. „Oho! Wusste ich es doch, es geht um eine Frau. Was ist geschehen? Hat sie dir einen Korb gegeben? Das muss eine gänzlich neue Erfahrung für dich sein.“
„Ach, lass mir die Ruhe, James! Bloß weil du bis über beide Ohren in Adele verliebt bist, heißt dass noch lange nicht, dass so etwas jedem
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