Der Baron und die widerspenstige Schöne
Wohnzimmer.
„Hier bin ich, Mama …“
Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung, als sie die Fremden erblickte.
Man stellte sie ihr als ihren Onkel und ihre Tante vor, Lord und Lady Broxted. Sie hörte zu, wie sie erzählten, dass sie die verwandtschaftlichen Beziehungen wieder aufnehmen und sie in die Gesellschaft einführen wollten, damit sie die Chance hatte, eine gute Partie zu machen. Carlotta konnte indes an nichts anderes denken, als dass es mittlerweile nach zwei Uhr war und Luke schon längst hätte seine Aufwartung machen müssen.
„Wir wollen dich nicht drängen, Carlotta, aber deine Tante und ich müssen bereits heute Abend nach London abreisen.“ Lord Broxted wandte sich mit schmalem Lächeln seiner Schwester zu. „Meine Leute haben sehr lange gebraucht, um euch ausfindig zu machen, Margaret. Erst gestern haben wir Nachricht von eurem Aufenthaltsort erhalten, und meine liebe Celia hat Wert darauf gelegt, dass wir euch unverzüglich aufsuchen.“
„Wir wollen Ende der Woche aufs Land reisen und würden unsere Nichte gerne mitnehmen“, erklärte Lady Broxted lächelnd. „Ich weiß, dass dies für dich ein Schock sein muss. Also, wenn du mehr Zeit zum Nachdenken benötigst oder dich in Ruhe mit deinen Eltern beraten möchtest, ist es uns recht. Allerdings solltest du auch wissen, dass wir dich in diesem Falle erst zum Ende des Jahres zu uns nehmen können …“
Carlotta knickste höflich. „Ich bin Ihnen sehr dankbar, Mylady, ich meine Tante. Das alles kommt so plötzlich.“ Beeil dich doch, bitte Luke. Ich brauche dich, betete sie stumm.
Das zufriedene Lächeln in den Gesichtern der anderen zeigte ihr, dass alle überzeugt davon waren, sie müsse von der Aussicht, im Haus des Earls und der Countess of Broxted leben zu können, begeistert sein.
„Du kannst nach Hause zurückkehren, wann immer du möchtest“, fuhr Lady Broxted fort. „Aber ich habe vor, dich so sehr zu verwöhnen, dass du für immer bei uns bleiben möchtest!“
Carlotta betrachtete die lächelnden Gesichter. Ein Netz der Liebe und der guten Absichten zog sich immer fester um sie. Sie stand auf.
„Ich … äh … wenn ihr mich bitte einen Augenblick entschuldigen möchtet, ich muss kurz nach draußen …“
„Carla, was um Himmels willen …“
Doch Carlotta wartete nicht darauf, dass ihre Mutter den Satz zu Ende brachte. Sie verließ das Zimmer, nahm ihren Umhang und lief aus dem Haus.
Der Gasthof lag nicht weit entfernt, und sie rannte die ganze Strecke. Noch bevor sie den Schankraum betreten konnte, trat der Wirt aus der Tür. Als er sie sah, hielt er inne, blinzelte kurz, dann lächelte er. „Hallo, Miss Carla, hat Ihr Vater den Wein, den ich ihm habe schicken lassen, etwa schon getrunken?“
„Nein, nein, Mr. Hitchen. Darum geht es nicht. Ich …“ Carlotta brach errötend ab. „Ich habe mich gefragt, ob Ihr Gast wohl anwesend ist. Der, äh, Gentleman, der bei Ihnen logiert.“ Sie rang die Hände, Hoffnung und Sorge vermischten sich, als sie auf seine Antwort wartete.
„Ah, Sie meinen Major Ainslowe.“
„Ja“, sagte sie eifrig. „Den meine ich.“
„Nun, er ist vor einer halben Stunde abgereist.“
„Abgereist!“
„Ja, Miss Carla. Was hat er noch gleich gesagt?“ Hitchen spielte mit einigen Münzen in seiner Tasche. „Lassen Sie mich nachdenken. Er sagte, dass er des Landlebens und der Leute überdrüssig sei. Ich denke, es ist ihm langweilig hier geworden, Miss. Er meinte, er bräuchte etwas mehr Trubel. Sie wissen ja, wie diese reichen Gentlemen sein können. Miss Carla, geht es Ihnen gut?“
Die freundliche, besorgte Frage des Wirtes ließ sie den Kopf heben. „Wie bitte? Oh, sicher, ja. Danke, Mr. Hitchen.“
Widerwillig machte sie sich auf den Heimweg. Ihr Glück war zerplatzt, ihr Herz in tausend Splitter zerbrochen. Er war abgereist. Er hatte sich bloß mit ihr amüsiert. Aber das habe ich doch von Anfang an gewusst, oder nicht?
Als sie ihr Zuhause erreichte, war sie den Tränen nahe. Doch sie unterdrückte sie tapfer und hob das Kinn. In der guten Stube herrschte Schweigen, und ihre Mutter schaute auf, als sie eintrat.
„Carla, Liebes, was hast du dir nur dabei gedacht, einfach so wegzulaufen? Solche ungehobelten Manieren an den Tag zu legen, wo doch deine Tante und dein Onkel eine solch weite Reise gemacht haben, nur um dich zu sehen.“
„Ich musste … Ich wollte …“ Carlotta atmete tief ein und aus, dann schaute sie den Earl fest an. „Mylord, wenn es immer
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