Der Baron und die widerspenstige Schöne
nicht, aber ich will sie unbedingt sehen.“
Als sie die Stufen hinaufschritten, warf sie einen Blick auf die von hohen Säulen gestützte Decke.
„Oh, du lieber Himmel!“ Lady Broxted begann, hektisch mit ihrem Fächer zu wedeln. „Liebes Kind! Diese Nymphen sind ja …“
„Das sind Mänaden, Tante“, erklärte Carlotta. „Das Gemälde soll Dionysos darstellen, der von tanzenden Mänaden umgeben ist.“
„Mir ist gleich, wie man sie nennt.“ Lady Broxted bedeckte ihren Mund mit ihrem Fächer und flüsterte Carlotta zu: „Sie sind nackt!“
„Aber nein, sie tragen einen durchscheinenden Schleier“, erwiderte Carlotta beschwichtigend. „Ich habe indes ohnehin an den kleineren Rondellen gearbeitet. Siehst du: die Trauben und die Leier. Die Mänaden habe ich nicht gemalt.“
„Nein, aber du musstest dich in ihrer Nähe aufhalten!“ Mit gesenktem Blick eilte Lady Broxted durch die Tür. „Himmel, Carlotta, ich hoffe, das findet nie jemand heraus!“
Mühsam ein Lachen unterdrückend folgte Carlotta ihrer Tante ins Haus.
In der Halle trafen sie auf die anderen Gäste, und Carlotta dachte zunächst, sie seien zu ihrer Begrüßung gekommen. Dann aber sah sie, dass alle Reitkleidung trugen. James Ainslowe löste sich aus der Gruppe und eilte mit strahlendem Lächeln auf sie zu.
„Willkommen, Mylord, Lady Broxted, Miss Rivington. Wir wussten nicht, zu welcher Zeit wir Sie erwarten durften. Vor einer Minute habe ich erst in den Ställen Bescheid geben lassen. Wenn Sie möchten, verschieben wir unseren Ausritt gerne um eine Stunde, damit Sie uns begleiten können.“
Lord Broxted hob die Hand. „Nein, nein, Ainslowe, lassen Sie sich durch uns nicht aufhalten.“
„Natürlich möchten sie nicht mit uns ausreiten“, warf Adele ein und trat vor, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. „Sie werden sich nach der weiten Reise sicher erst ausruhen und erfrischen wollen, nicht wahr?“
Ihr Lächeln schloss alle ein. Carlotta war versucht zu sagen, dass sie nur eine Meile hatten zurücklegen müssen und sie nur zu gerne ausreiten würde. Indes durfte sie dies nicht verraten und musste obendrein achtgeben, sich nicht zu unbedachten Bemerkungen verleiten zu lassen. Sie ließ den Blick über die versammelten Menschen schweifen. Sie kannte sie alle: Mr. und Mrs. Price, Julia, Lord Fairbridge, Sir Gilbert Mattingwood, Lord Darvell. Carlotta bedachte Luke mit einem schüchternen Lächeln und hoffte, er würde zu ihr kommen. Kaum hatte sein Blick indes den ihren gefunden, eilte Mr. Woollatt auf sie zu.
„Miss Rivington, der Tag ist unversehens viel freundlicher geworden, nun da Sie hier sind. Ich denke, unser Gastgeber wird Verständnis haben, wenn ich unter diesen Umständen auf den Ausritt verzichte.“
Luke hob die Brauen. „Warum denn das, Sir, da doch, wie Sie selbst sagen, der Tag unversehens viel freundlicher geworden ist?“
Ein Lachen kitzelte Carlotta in der Kehle, und sie hustete rasch, um es zu bezwingen.
An Mr. Woollatt prallte Lukes Ironie indes ab. Mit ernster Miene erklärte er: „Meine Bemerkung war rein metaphorisch gemeint, Mylord. Wenn Sie erlauben, Ainslowe, werde ich hierbleiben und mich wieder umziehen. Dann kann ich Ihren neuen Gästen Gesellschaft leisten, bis Sie von Ihrem Ausritt zurück sind. Na, was sagen Sie zu meinem Vorschlag?“
Angesichts seiner lächelnden Selbstzufriedenheit fehlten Carlotta die Worte, und so kam ihre Tante ihr zuvor.
„Ein ausgezeichneter Gedanke, Mr. Woollatt. Wie aufmerksam von Ihnen, an unser Wohlbefinden zu denken.“
„Nun, dann ist das also abgemacht, und wir brechen besser auf“, meinte James.
„Und ich werde meinen Kammerdiener suchen, damit er mir beim Umziehen behilflich ist“, murmelte Mr. Woollatt. „Nie antwortet er auf mein Klingeln. Ihr Kammerdiener hingegen scheint immer parat zu stehen, Mattingwood. Ich stolpere unentwegt über den Burschen!“
Sir Gilbert, der Carlotta mit bewundernden Blicken betrachtet hatte, lachte. „Reed ist ein äußerst gewissenhafter, umsichtiger Dienstbote, der sich bemüht, immer in unmittelbarer Nähe zu sein, falls ich ihn benötige.“
„Es besteht indes kein Anlass, dass er in den Fluren herumlungert“, warf James ein. „In jedem Raum und auch in allen Schlafgemächern sind Klingeln angebracht. Sie können also jederzeit bequem nach ihm läuten, wenn Sie ihn benötigen. Vielleicht sollten Sie ihm das einmal erklären, Mattingwood.“
„Ja, danke. Das werde ich“, antwortete Sir
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