Der Baron und die widerspenstige Schöne
Gilbert.
Die Reitgesellschaft brach auf, und es kam kurzfristig zu einem Stau in der Tür, da die Herrschaften nach draußen strömten, während gleichzeitig Lakaien die schweren Gepäcktruhen der Broxteds in die Halle tragen wollten. Hastig wechselte Mr. Woollatt noch einige Worte mit Lady Broxted, ehe er die Treppe hinaufeilte. Derweil wies James die Haushälterin an, seine Gäste auf ihre Zimmer zu bringen.
„Carlotta, Liebes, bist du fertig?“
Lady Broxted erschien an der Tür des kleinen Schlafgemachs, und Carlotta wandte sich vom Spiegel ab.
„Ja, Tante. Ich brauche nur noch meinen Fächer.“
„Du hast dich ja rasch umgezogen“, verkündete ihre Tante, während sie ins Zimmer trat. „Wie du siehst, bin ich immer noch in Reisekleidung. Jarvis hat eben erst das Kleid ausgepackt, das ich zu tragen wünsche. Aber du musst nicht auf mich warten. Geh ruhig schon hinunter in die Bibliothek, ich komme in einigen Minuten nach.“ Sie drückte Carlotta den Fächer in die Hand und deutete zur Tür.
„Oh, aber ich würde viel lieber auf meinem Zimmer bleiben und lesen, bis du fertig bist, Tante“, sagte Carlotta widerstrebend.
„Nein, du solltest wirklich schon hinuntergehen. Nimm dein Buch mit, wenn du möchtest. Ich bin mir sicher, das Licht ist in der Bibliothek sehr viel besser, und außerdem ist das der rechte Ort, um zu lesen.“
Lächelnd begab sich Carlotta nach unten. Sie war ehrlich genug, zuzugeben, dass sie sich über die Gelegenheit freute, das Haus zu erforschen, während der Großteil der Gäste außerhalb weilte. Sie war neugierig, wie die Räume mit Einrichtung wirkten. Am Fuße der Treppe hielt sie kurz inne, um den Eindruck zu erwecken, sie sei sich ihres Weges nicht ganz sicher. Immerhin sollte dies ja angeblich ihr erster Besuch in Malberry Court sein.
Sie ging durch das kleine Vorzimmer, das auch an den Salon grenzte, in die Bibliothek und schloss sorgsam die Tür hinter sich. Die hohe Decke war in Blautönen gehalten, von dunklem Indigo bis zu Blassblau. Der riesige Axminster-Teppich, der den Boden bedeckte, war perfekt auf das komplizierte Deckenmuster abgestimmt. Wie sie wusste, hatte der Lehrling ihres Vaters den Großteil der Arbeiten in diesem Raum ausgeführt, und erwartungsgemäß fand sich hier auch keines der beeindruckenden Wandgemälde, für die ihr Vater berühmt war. Jede freie Stelle, die nicht von Bücherregalen bedeckt war, zierten Objekte aus Mr. Ainslowes Kunstsammlung. Eine Wand jedoch verschönerte ein großes Gemälde, das eine klassische Szene zeigte. Das muss der Tiepolo sein, dachte sie. Sie ging darauf zu, um einen näheren Blick auf das Bild zu werfen, da öffnete sich die Tür.
„Meine liebe Miss Rivington.“ Mr. Woollatt hastete auf sie zu, nahm ihre Hand und gab ihr in altmodischer, enervierender Geste einen Kuss auf die Fingerspitzen. „Welch Glück, dass ich Sie allein antreffe.“
„Ach tatsächlich?“ Carlotta entzog ihm gereizt ihre Hand und wich einen Schritt zurück. „Ich warte auf Lady Broxted. Sie wollte gleich nachkommen.“ Sie betete inständig, dass ihre Tante wirklich sehr bald erschien.
„Natürlich, natürlich. In der Zwischenzeit müssen wir uns allein vergnügen, nicht wahr?“ Er grunzte einige Male, und es dauerte einen Augenblick, bis Carlotta erkannte, dass das Grunzen in Wahrheit ein Lachen war. Die Hände hinter dem Rücken gefaltet, ging er vor ihr auf und ab. „Nun, Miss Rivington, ich bin hocherfreut, die Gelegenheit zu haben, mit Ihnen allein zu sprechen. Sie wissen bestimmt bereits, was ich Ihnen sagen möchte.“
Carlotta schluckte nervös. „Nein, Sir.“
Er strahlte sie an. „Ah, welche Unschuld. Bezaubernd. Äußerst bezaubernd. Dann lassen Sie mich offen zu Ihnen sprechen, meine Liebe. Seit einiger Zeit überlege ich bereits, mein Leben zu verändern. Wie Sie wissen, bin ich, was man in moderner Sprache gut gepolstert nennt. Ein Mann, den man sich warmhalten sollte.“
„Warmhalten, Sir?“
„Ja, will heißen, gut situiert. Obwohl ich bescheidenerweise mein Vermögen eher als respektables Einkommen bezeichnen möchte. Und wie für jeden Mann ist nun auch für mich der Zeitpunkt im Leben gekommen, wo ich mich mit dem Gedanken trage, eine Familie zu gründen.“ Er räusperte sich. „Um, äh, einen Erben zu bekommen.“
Mit plötzlicher, beängstigender Klarheit wusste Carlotta, dass sie ihn am Weitersprechen hindern musste. Wo blieb bloß ihre Tante? „Sir, ich …“
„Ich habe mehr Saisons in
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