Der Baron und die widerspenstige Schöne
„Ich bin froh, Sie hier unten zu sehen, Miss Rivington. Darf ich daraus schließen, dass Sie bei dem Unfall nicht verletzt wurden?“
„Ich habe mir wohl den Arm geprellt, aber es ist nichts Ernstes. Ich hoffe, Mrs. Ainslowe hat keine bleibenden Verletzungen davongetragen?“
Sie sah ihn vielsagend an, und er schien zu verstehen, was sie meinte, denn er schenkte ihr ein angespanntes Lächeln und drückte leicht ihre Hand.
„Der Doktor hofft darauf, aber es ist noch zu früh, als dass man dies mit Sicherheit sagen kann.“
Die Mahlzeit zog sich endlos hin. Carlotta saß einige Plätze von Luke entfernt, deshalb fand sie erst als die Herren nach dem Dinner wieder in den Salon zurückkehrten, Gelegenheit mit ihm zu sprechen. Mrs. Price hatte Julia und Lord Fairbridge dazu überredet, ein Duett zu singen, und während sich die kleine Gruppe um das Pianoforte versammelte, stellte sich Carlotta unauffällig neben Luke. Sie wagte nicht, ihn anzuschauen, und konnte nur hoffen, dass ihre Stimme weniger zittrig war als ihre fest ineinander gefalteten Hände.
„Ich habe Ihnen für Ihre Hilfe heute Morgen noch gar nicht danken können, Mylord.“
„Es war mir ein Vergnügen, Miss Rivington.“
Der kühle Ton in seiner Stimme verwirrte sie. Doch als sie aufschaute, erkannte sie den Grund dafür. Mr. Price näherte sich ihnen.
Darvell zunickend sagte er fröhlich: „Bitte um Pardon, Mylord, wenn Sie erlauben, bringe ich den Leuchter neben Ihnen zum Pianoforte. Meine Gemahlin benötigt ein wenig mehr Licht, um die Noten zu lesen.“
Luke wartete, bis er sich wieder entfernt hatte. „Nie zuvor habe ich solch große Angst ausgestanden“, murmelte er. „Der Schäfer erzählte, dass eine der Damen bewusstlos sei, aber er wusste nicht, um wen von euch beiden es sich handelte. Ich fürchtete, du wärst es, bis ich dich sah.“
Carlotta legte eine Hand an ihre Kehle. Seine Nähe wühlte sie auf. Das Atmen fiel ihr schwer, und ihr Herz hämmerte so laut in ihrer Brust, dass sie glaubte, er müsse es hören. Sie standen im Schatten, aber dennoch sah Carlotta den Funken des Begehrens in seinen Augen, spürte die Sehnsucht, die er ausstrahlte. Er übte eine Macht auf sie aus, der sie sich nicht entziehen konnte, die sie wie magisch zu ihm zog. Die Hand ausstreckend trat sie einen Schritt näher. Seine Finger schlossen sich um die ihren und lösten ein Prickeln in ihr aus. Seine Berührung verursachte ihr Gänsehaut. Nur wenige Zentimeter standen sie voneinander entfernt. Ein kleiner Schritt noch, und sie könnte sich an ihn lehnen, ihre Wange an seine Brust schmiegen und seinem Herzschlag lauschen.
Abrupt ließ er ihre Hand los und trat von ihr fort. „Führe mich nicht in Versuchung, cara “, murmelte er. „Wenn du so nah bei mir stehst, kann ich nicht mehr klar denken. Als ich dich heute Morgen zur Kutsche brachte, wollte ich dich für immer bei mir behalten. Am liebsten hätte ich die Pferde angetrieben und wäre mit dir fortgefahren, irgendwohin, weit weg von hier, von allem.“
Er seufzte tief und tat noch einen Schritt zur Seite.
Carlotta beobachtete ihn durch einen Tränenschleier. „Ich wünschte, du hättest genau das getan“, flüsterte sie traurig.
Kalt und grau dämmerte der Morgen und erinnerte Carlotta daran, dass der Sommer sich dem Ende zuneigte. Sie schaute aus dem Fenster auf die dichte Wolkendecke, hinter der die Sonne verborgen blieb. Die trostlose Aussicht spiegelte ihre Stimmung wider. Heute musste sie ihre Tante davon überzeugen, sie von Malberry wegzubringen, fort von allem, was sie an Luke erinnerte. Seufzend machte sie sich auf den Weg nach unten und durchquerte soeben die Halle, als sie Luke aus einer Seitentür treten sah. Sie lächelte. „Sie sind früh auf, Mylord.“
„Ja, ich war im Stall und habe mir das Gig angeschaut.“
Etwas in seinem Ton ließ sie aufhorchen. Fragend schaute sie ihn an. Kurz zögerte er, dann zog er sie zur Seite. Nach einem schnellen Blick auf die reglos in der Halle stehenden Lakaien führte er sie ins Arbeitszimmer seines Bruders und schloss die Tür.
„Als ich mir die Kutsche gestern auf dem Hügel anschaute, war ich überrascht, dass das Rad so sauber abgebrochen ist. James hat das Gig erst vor wenigen Monaten für Adele erworben. Es ist das neueste Modell. Du wirst mittlerweile wissen, dass mein Bruder von allem das Beste haben möchte. Also habe ich mir die Sache genauer angesehen. Das Rad ist normalerweise mit zwei Radmuttern und einem
Weitere Kostenlose Bücher