Der Baron und die widerspenstige Schöne
Schritt zurück, ihr Herz raste, und die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Luke musste von ihrer Entdeckung erfahren, und zwar rasch. Sie hastete in die Halle hinaus und wies einen der Lakaien an, Lord Darvells Burschen zu holen. Anschließend setzte sie sich ins Morgenzimmer, um eine rasche Notiz zu schreiben, die sie just in dem Moment beendete, als Billy klopfte. Das Papier faltend ging sie zu ihm an die Tür.
„Bring diese Nachricht bitte sofort zu Lord Darvell. Wirst du ihn finden können? Die Gentlemen sind möglicherweise noch auf der Jagd.“
Der Bursche sah auf die dunklen Wolken vor dem Fenster. „Das Licht ist zu schwach, Miss. Ich nehme an, sie sind jetzt im Badehaus.“
„Umso besser. Beeil dich und errege möglichst keine Aufmerksamkeit.“
„Aber Seine Lordschaft hat befohlen, dass ich hierbleiben und auf sie aufpassen soll, Miss.“
„Ich weiß, aber die Nachricht ist sehr wichtig, denn …“ Unvermittelt brach sie ab und schaute über Billys Schulter. „Was war das für ein Geräusch? Ist da jemand vor der Tür?“
Billy trat in die Halle und schaute sich um. „Hier ist niemand, Miss, nur die Lakaien auf der anderen Seite der Halle.“
„Ich hätte dich hereinkommen lassen und die Tür schließen sollen“, schalt sich Carlotta selbst.
„Nun, es ist ja nichts geschehen, Miss“, beschwichtigte Billy. „Die Gäste sind jetzt alle in ihren Zimmern und bereiten sich aufs Dinner vor, und die Dienstboten haben Besseres zu tun, als sich hier herumzutreiben.“
„Du hast recht. Ich bin törichterweise viel zu besorgt heute. Nun gut, du solltest gehen.“
„Aber der Master hat gesagt …“
Sie hob abwehrend die Hand. „Ich verspreche, dass ich mich geradewegs in mein Zimmer begeben werde und den restlichen Abend nicht von der Seite meiner Tante weiche. Also wird mir schon nichts passieren. Allerdings ist es überaus wichtig, dass Lord Darvell die Nachricht schnellstmöglich erhält.“ Sie zögerte und biss sich auf die Unterlippe. „Möglicherweise schwebt er in Gefahr.“
Billy nickte und steckte die Notiz in seine Tasche. „Gut, Miss. Dann sollte ich wohl besser die Beine in die Hand nehmen. Aber Sie bleiben auch wirklich bei Lady Broxted.“
„Ja doch. Nun geh!“
Das Dinner zog sich endlos hin. Carlotta verspürte keinen Appetit auf die exquisiten Speisen wie den gefüllten Fisch oder das Lamm, das Mr. Ainslowes französischer Koch so delikat zubereitet hatte. Ihre Nerven lagen blank, und sie lauschte angestrengt auf jedes Geräusch, das ihr die Ankunft von Luke verraten könnte. Jedes Mal, wenn jemand eintrat, flog ihr Blick zur Tür, was immer dann der Fall war, wenn die Diener einen neuen Gang auftrugen. Carlotta versuchte auszurechnen, wie lange es dauern würde, bis Billy seinen Herrn gefunden hatte. Sobald Luke ihre Nachricht gelesen hatte, würde er sicher alles verstehen und auf der Hut sein. Sie bemühte sich, ihrer Sitznachbarin Mrs. Price die gebotene Aufmerksamkeit zu schenken, die ihr riet, die Brombeersoße zum Apfelkuchen zu probieren, und setzte gerade zu einer Antwort an, als sie eine Berührung an ihrem Arm spürte. Sie senkte den Blick und entdeckte einen Zettel auf ihrem Schoß. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Zitternd ließ sie ihre Serviette über das Papier fallen und sah sich um. Wer konnte die Nachricht überbracht haben? Mehrere Lakaien befanden sich hinter ihr, die sich sämtlich aufmerksam ihren Pflichten widmeten. Es muss einer von ihnen gewesen sein, überlegte sie. Vielleicht ist Luke unbeobachtet ins Haus zurückgekehrt und hat einen der Diener angewiesen, ihr unauffällig ein Billett zu überbringen.
Bis zum Ende der Mahlzeit saß sie wie auf glühenden Kohlen. Sie konnte es nicht riskieren, die Nachricht am Tisch zu lesen, zu groß war die Gefahr, dass es auffallen würde. Endlich erhoben sich die Damen, und sie konnte sich entschuldigen. Rasch zog sie sich auf ihr Zimmer zurück, um die Zeilen ungestört zu lesen. Ihre eigene Schrift erkannte sie sofort. Es war die Nachricht, die sie Billy übergeben hatte, doch am unteren Rand befand sich eine weitere kurze Notiz:
Komm um elf Uhr zum Badehaus. Ich werde dort auf dich warten. Erzähle niemandem davon, und gehe nicht über den Hauptweg. Man darf dich nicht sehen. D.
Mit zitternden Händen schob Carlotta das Blatt in ihr Retikül. Ihr Herz pochte wild. Luke hatte nach ihr geschickt! Er hatte versprochen, dass nichts ohne sie entschieden werden würde, und das musste auch der
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