Der Bastard von Tolosa / Roman
hätten.
»Zumindest kratzt sie mir nicht mehr die Augen aus.«
»Jaufré, mein Junge.« Sie tätschelte meine Wange. »Lern endlich, die Gefühle der Frauen zu verstehen! Sie wird dir vergeben, denn sie liebt dich. Und das ist gut für uns alle. Habgier und böse Gedanken, wie dieser Robert sie hegt, führen nur zum Verderben. Glück, Erfolg und Gesundheit entstehen durch Freude und die Liebe einer guten Frau. Sei guten Mutes, denn solange Berta dich liebt, wirst du siegen.«
Sie hatte mehr Vertrauen in Bertas Liebe als in meine Kriegskünste.
»Amor vincit omnia«,
erwiderte ich deshalb spöttisch.
»Sprich kein Latein mit mir!«
»Die Liebe bezwingt alles«, übersetzte ich. Das war die Weisheit aus den Liedern vieler
trobadors
und ein Wahlspruch, an den sich mancher gern klammert in Zeiten wie die unseren.
»So ist es«, antwortete sie fröhlich. »
Joia e amor,
Jaufré!«
Sie warf mir noch eine Kusshand zu, dann setzte sich die Gruppe in Bewegung. Nach wenigen Augenblicken hatte die Dunkelheit sie verschluckt. Freude und Liebe. Wer wünscht sich das nicht? Nachdenklich stand ich auf der Straße, als schon die Nächsten den Hang heruntergeklettert kamen und durch den Agli
wateten. Ich erkannte Adela und Martin unter ihnen und dann mit einem unruhigen Flattern im Herzen die Frau, deren Liebe, wenn es nach Joana ging, alle unsere Schwierigkeiten überwinden würde.
»Wie läuft es?«, flüsterte Berta.
»Wie nach Plan. Du solltest doch erst mit der letzten Gruppe kommen.«
»Ich konnte das Warten nicht mehr aushalten.«
»Wie spät ist es?«
»Eine Stunde nach Mitternacht.«
Wir brannten Stundenkerzen in der Höhle, um sicherzugehen, dass wir uns nicht verspäten und vom Morgengrauen überrascht würden. Berta trug enge Beinkleider wie ein Mann. Eine kurze Tunika darüber und feste Stiefel an den Füßen, so wie sie sich oft für ihre Reitausflüge kleidete. Im Gürtel steckte ein langes Jagdmesser. Sie hatte auf ihre Mütze verzichtet, und das blonde Haar fiel ihr in Kaskaden den Rücken herunter. Sie sah wie die Göttin Diana aus, die ich auf einem Fries in einem alten, griechischen Tempel in Nicaea gesehen hatte. Nur Bogen und Köcher fehlten. Dafür trug sie ihre Bündel an Habseligkeiten über die Schultern geschlungen.
»Joana meint, du bringst mir Glück«, flüsterte ich scherzhaft. »Wenn dem so ist, bleibst du am besten in meiner Nähe.«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Hamid führt die erste Gruppe und du die letzte. Also ist mein Platz in der Mitte«, erwiderte sie mit Bestimmtheit.
»Und ich gehe mit Berta«, sagte Adela ebenso entschlossen und warf einen trotzigen Blick auf Martin, der sich zu mir gestellt hatte. Hatten sie sich gestritten? Auch Martin trug zwei Bündel. In der Hand hielt er seinen Bogen. Den Köcher hatte er über den Rücken geschlungen.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Berta lächelnd. »Wir sehen uns bald wieder.« Dann küsste sie mich kurz und allzu flüchtig.
Gleich darauf marschierten sie los. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gefühl bei dem Gedanken, Berta nicht in meiner Nähe zu wissen. Übertriebene Sorgen, dachte ich mit einem Schulterzucken und legte meine Hand auf Martins Schulter.
»Dann lass uns mal den Rest unserer Schäfchen zusammentreiben.«
Immer noch war alles still. Keiner der Späher hatte Alarm geschlagen. Die verbliebenen Dörfler sammelten sich auf der Straße. Renat, ein junger Schafhirte, der den Umgang mit Hunden gewohnt war, hatte sich seit Alexis’ Abwesenheit um Thor und Odin gekümmert und sie nun durch die Höhle gebracht. Er hielt sie an langen Lederleinen, damit sie nicht herumstreunten. Gisla kam mit ihren beiden Töchterchen, eines auf den Rücken gebunden, das andere an der Hand. Magdalena und die alte Elena stiegen zuletzt durch den Fluss, begleitet von Enric, dem Lois Bertran die Böschung hochhalf. Elena ging an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Sie würde mir nie für den Tod ihres Sohnes verzeihen.
»Wir sind die Letzten«, flüsterte Magdalena.
»Gut. Dann macht euch auf den Weg«, sagte ich und gab den Männern ihrer Begleitung Zeichen, aufzubrechen, und ließ gleich auch Bruns Speerkämpfer rufen. Unsere zwei Späher hatten Befehl, sich ein Versteck zu suchen und tagsüber auszuharren, um Ricards Männer zu beobachten. Am Abend würden sie an verabredeter Stelle abgelöst werden.
Ich wartete, bis Jaume durch die Höhle kam. Er hatte darauf zu achten, dass niemand zurückblieb und dass die
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