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Der Bastard von Tolosa / Roman

Der Bastard von Tolosa / Roman

Titel: Der Bastard von Tolosa / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Schiewe
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meine Gedanken. Dennoch tat die Erinnerung an das freundliche Gesicht des Priors gut und ließ mein Herz wieder etwas ruhiger schlagen.
    Als die langen Schatten sich im Tal ausbreiteten, überfiel mich Niedergeschlagenheit, denn in Wahrheit war ich allein, ohne mächtige Verbündete. Nur auf mich gestellt, galt es, äußerst klug vorzugehen, meine wenigen Vorteile zu nutzen. List war besser als Gewalt. Guilhems Goldhort würde nützlich sein. Es musste alles weiter geheim bleiben. Niemand sollte wissen, wer ich war oder dass es überhaupt einen männlichen Erben aus Guilhems Blutlinie gab. Ich musste mit Odo sprechen. Er hatte gewiss einen Plan und eine Liste von Baronen und alten Vasallen, die mich unterstützen würden.
    Nachdenklich saß ich auf dem Fels und starrte in den Himmel, wo zwei Adler gemächliche Kreise zogen. Hier oben gibt es immer drei oder vier Paare, die in den schroffen Felswänden der Bergspitze nisten. Drogo und ich hatten sie als Kinder oft beobachtet. Schwerelos schienen sie dahinzugleiten, als kümmere sie nichts, erhaben über allem Irdischen. Ihr Anblick gab mir Mut, denn ich sah es als gutes Omen. Was konnte ich von ihnen lernen, um Robert zu besiegen?
    Etwas raschelte hinter mir, und erschrocken wandte ich mich um. Da stand zu meiner Überraschung Berta und hielt sich am Stamm eines Bäumchens fest. Sie atmete heftig und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann kletterte sie das letzte Stück bis auf den Felsen und ließ sich neben mir nieder. Sie trug immer noch ihre Männerkluft, und der Stoff der Beinkleider spannte sich um ihre Schenkel.
    »Hier hast du dich also versteckt«, sagte sie atemlos. »Läufst du wieder vor mir davon?«
    »Ich musste nachdenken.«
    »Was hat der Mönch dir erzählt, dass du so durcheinander bist?«
    Ich nahm ihre Hand in die meine. Sie hatte wohlgeformte, schlanke Hände, an deren Innenfläche sich das blasse Blau der Adern abzeichnete. Dorthin drückte ich sanft meine Lippen.
    »Nicht jetzt,
mon cor!
Es muss sich erst in mir setzen.«
    »Ist es also wahr, was Joana erzählt hat?«
    »Es ist wahr.«
    Ich zeigte ihr die Adler, die unter uns über die Baumwipfel des Berghangs glitten. Sie mussten Beute erspäht haben. Einer flog voran, der zweite hielt sich zurück.
    Plötzlich stoben Krähen wild krächzend aus einem Baum und flohen pfeilschnell in alle Richtungen, eine genau in die Flugbahn des zweiten Adlers, der darauf gewartet zu haben schien. Ein wildes Federknäuel in der Luft, ein Todesschrei, und dann schlug der Adler seine Schwingen und erhob sich über dem Wald mit der toten Krähe in den Fängen, immer höher hinauf zu dem felsigen Horst, wo seine Brut auf ihn wartete. Sein Partner folgte in einigem Abstand.
    »Sie jagen oft zu zweit«, erklärte ich. »Männchen wahrscheinlich. Die Weibchen hüten die Brut.«
    »Wie wir Menschen«, sagte sie lächelnd.
    Ja, dachte ich, so mussten wir Robert besiegen. Der eine stöbert ihn auf, der andere schlägt zu.
    Bertas Blick glitt über Rocafort in der Ferne, und ihre Augen wurden feucht. »Wir haben alles verloren«, flüsterte sie. »Es ist ein Alptraum.«
    Ich legte meinen Arm um sie und zog sie an mich.
    »Wir werden es uns wiederholen.«
    »Mein armer Raol. Er weiß nichts von alldem. Du darfst nicht zulassen, dass sie ihn als Geisel gegen uns verwenden.« Ich versprach es, obwohl ich kaum in der Lage dazu war. »Und Ramon da unten. Du musst ihn befreien.«
    Natürlich! Nur wie? Berta lehnte sich an mich und legte ihren Kopf auf meine Schulter. Ich hielt sie umschlungen und spürte, wie ihr Körper sich entspannte.
    »Da wir von Ramon sprechen …«, sagte ich. »Hier habe ich oft gesessen, als ich um Amelha trauerte.« Mir war danach, etwas klarzustellen. »Es ist ein guter Ort zum Nachdenken. Nur deshalb bin ich hier, nicht, weil ich vor dir davonlaufe. Alles andere ist Vergangenheit. Nur du bist mir wichtig.«
    Sie hob ihr Gesicht und sah mich an. Die Abendsonne ließ ihre Augen goldgrün leuchten. »Und Adelas Mutter? Erzähl mir von ihr.«
    Ich seufzte. »Sie ist tot, Berta.«
    »Es tut mir leid.« Sie küsste mich auf die Wange. »Ich wollte nicht daran rühren.«
    Sie lehnte sich zurück an den Felsen und schaute lange in die Ferne. »Für deine Liebe zu Amelha war ich dir nicht gram, Jaufré. Im Gegenteil. Ich hätte mir gewünscht, jemand wäre mir so treu gewesen wie du ihr.« Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar und seufzte. »Nur, dass du uns beiden nie eine Gelegenheit gegeben

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