Der Bastard von Tolosa / Roman
hast. Du wolltest nicht leben, du wolltest dich nur selbst bestrafen. Und alle um dich herum gleich mit.«
Ich betrachtete ihr Gesicht. Die sterbende Abendsonne schien durch ihr Haar, und die Strähnen, die ihr in die Stirn fielen, leuchteten hell wie geschmolzenes Gold. Winzigste Härchen bildeten einen sanften Flaum auf ihrer Oberlippe. Wir sahen uns in die Augen, und ich spürte wieder den Zauber wie an jenem fernen Nachmittag an unserem Hochzeitstag. Voller Zartheit küsste ich sie. Zuerst erwiderte sie meinen Kuss nicht, aber dann hob sie ihr Kinn, und ihre Lippen öffneten sich. Lange hielten wir uns so umschlungen. Ich wollte mehr, und meine Finger berührten ihre Brust. Sie stöhnte leise, aber dann wehrte sie meiner Hand und entzog sich mir.
»Nicht jetzt«, flüsterte sie und suchte nach Beherrschung. »Nicht, bevor alles zwischen uns geklärt ist.«
»Was gibt es noch zu klären?«
»Wenn Robert besiegt ist, was geschieht dann?«
»Nicht so schnell! Im Augenblick geht’s um unser Überleben.«
»Ich weiß. Aber was ist danach? Willst du Graf von Tolosa werden?«
»Ein jeder muss seiner Bestimmung folgen.«
Sie atmete langsam aus und sah nicht sehr glücklich aus.
»Das habe ich mir gedacht«, war alles, was sie dazu sagte.
Sie erhob sich, und meiner Frage, was sie betrübe, wich sie aus, wollte nur zurück ins Lager, und so machten wir uns schweigsam auf den Weg.
***
Irgendetwas zerrte mich am Fuß.
Dies und jammerndes Jaulen rissen mich aus dem Schlaf. Ich fuhr hoch und starrte in das sabbernde Maul eines Hundes.
Deable,
es war Thor. Ich erkannte ihn an der Narbe über dem Auge. Seine nasse Zunge fuhr mir übers Gesicht, dann war er wieder aus dem Zelt und wartete maulend, dass ich herauskam. Ich fluchte leise, hievte mich auf die Beine und steckte den Kopf raus. Beide Doggen starrten mich mit schräg gestellten Köpfen erwartungsvoll an. Draußen begann gerade erst der Tag zu grauen, und niemand rührte sich im Lager. Außer den Hunden des Dorfes. Sie bellten nicht, liefen nur unruhig hin und her und winselten in klagend hohen Tönen.
Irgendetwas stimmte hier nicht.
»Berta!«, rief ich ins Zelt, laut genug, um sie zu wecken. »Die Hunde sind unruhig. Besser, ihr steht gleich auf.«
Ich konnte in der Dunkelheit des kleinen Zeltes ihre schemenhafte Form ausmachen, wie sie erschrocken hochfuhr. Auch Adela hob verschlafen den Kopf. Meine Tochter hatte am Abend darauf bestanden, zwischen uns zu kriechen, und gesagt, sie wolle nur in meinen Armen einschlafen. Kein Wunder, denn meine arme
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hatte in diesen Tagen mehr erlebt, als für einen Erwachsenen gut war und noch viel weniger für ein elfjähriges Kind. Außerdem hatte ich kaum Zeit gehabt, mich um sie zu kümmern. Berta war zwar bereit gewesen, mein Zelt zu teilen, aber weiterhin auf Abstand bedacht. Selbst wenn es anders gewesen wäre, nach zwei Tagen ohne Nachtruhe waren wir viel zu müde gewesen, um an mehr als Schlaf zu denken.
Rasch zog ich meine Stiefel an und legte den Schwertgürtel um. Ich ergriff meinen Speer und trat vor das Zelt. Hamid war ebenfalls auf den Beinen, schon in voller Rüstung, den gespannten Bogen in der Hand und Köcher auf dem Rücken. Andere Männer mit Waffen in den Händen traten schlaftrunken hinzu.
»Haben sich die Wachen nicht gemeldet?«, fragte ich Drogo, der seinen Helm überstülpte. Bevor er dies verneinen konnte, stieß mich Thor mit der Nase an und zerrte zu unserer Verblüffung mit den Zähnen an meiner Tunika, als wolle er mich irgendwohin führen.
Berta trat aus dem Zelt und reichte mir meinen Schild.
»Was ist?«, fragte sie besorgt.
»Die Hunde müssen etwas entdeckt haben.«
Meine Doggen liefen in den Wald, gefolgt von den anderen Hunden. Immer wieder blieben sie stehen und sahen sich nach uns um. Seltsam. Ich hieß zwei Männer vorgehen, und wir anderen folgten vorsichtig in einigem Abstand. Ich hatte nicht vor, in eine Falle zu laufen.
Und dann entdeckten wir, was die Tiere so aufgeregt hatte. Vom Ast einer Eiche hing eine leblose Form und drehte sich ein wenig in der kühlen Morgenluft. Uns allen blieb das Herz stehen. Es war Rosa.
Sie baumelte an einem Strick um den Hals. Entsetzt starrten wir auf das grässliche Bild. Der Kopf hing auf die Brust, Augen im Todeskampf verdreht, blauviolett und geschwollen quoll die Zunge aus ihrem Mund, so hing ihre schmale Gestalt, Füße leicht nach innen gedreht, die nackten Beine mit Blutergüssen und blauen Flecken übersät, wie wir
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