Der Bauch von Paris - 3
flammenden Glanz unter der Reihe der draußen am Schaufenster angebrachten Reflektoren. Da waren zuerst das matte Weiß, das grelle Blinken des Silbers, die ausgerichteten nebeneinanderliegenden Uhren, die herunterhängenden Ketten, die gekreuzten Bestecke, die Becher, die Tabaksdosen, die Serviettenringe, die Kämme, die auf den Etageren lagen. Sie hegte jedoch eine Neigung für silberne Fingerhüte, die auf den mit einer Glasglocke überdeckten Porzellanaufsätzen Buckel bildeten. Auf der anderen Seite färbte der fahle Schein des Goldes die Spiegelscheiben gelb. Ein breiter, von roten Blitzen schillernder Wasserfall langer Ketten rieselte von oben herab. Die kleinen Damenuhren, die mit dem Gehäuse nach oben gekehrt waren, hatten die glitzernden Rundungen heruntergefallener Sterne. Trauringe waren auf dünnen Stäben aufgespießt. Die teuren Armbänder, Broschen und Juwelen glänzten auf dem schwarzen Samt der Schmuckkästchen. Die Ringe entzündeten kurze blaue, grüne, gelbe und violette Flammen in großen viereckigen Kästchen, während auf allen Etageren, von denen zwei oder drei übereinander angebracht waren, Reihen von Ohrgehängen, Kreuzen und Medaillons den Kristallrand der Platten mit reichen Tabernakelfransen besetzten. Der Widerschein all dieses Goldes erhellte die Straße bis zur Mitte des Fahrdammes mit dem Erstrahlen einer Monstranz. Und Cadine glaubte irgend etwas Heiliges, die Schatzkammer des Kaisers, zu betreten. Lange musterte sie dieses schwere Fischhändlerinnengeschmeide und las sorgfältig die Preisschildchen mit den großen Zahlen, die jedem Schmuckstück beigefügt waren. Sie entschied sich für birnenförmige Ohrgehänge aus falschen Korallen, die an goldenen Rosen befestigt waren.
Eines Morgens überraschte Claude sie, wie sie verzückt vor einem Friseurladen in der Rue SaintHonoré stand. Sie betrachtete mit dem Ausdruck tiefen Neides die Frisuren. Oben war ein Geriesel von Mähnen, von weichen Schweifen, von aufgelösten Flechten, von Korkenzieherlocken, von dreifach übereinandergetürmten Haarwülsten, eine ganze Woge von Roßhaar und Seide mit roten flammenden Strähnen, von schwarzer Undurchdringlichkeit, von blonder Blässe bis zum weißen Haarschopf für verliebte Frauen von sechzig Jahren. Unten schliefen in Pappschachteln diskrete Frisuren, ganz gekräuselte Schmachtlocken, pomadisierte und gekämmte Nackenknoten. Und inmitten dieser Umrahmung drehte sich unter den ausgefaserten Spitzen der aufgehängten Haare hinten in einer Art Kapelle eine Frauenbüste. Die Frau trug eine kirschrote Atlasschärpe, die am Buseneinschnitt von einer Messingbrosche zusammengehalten wurde; sie hatte eine sehr hohe Brautfrisur, die von Orangenblütenstengeln hochgehalten wurde, und lächelte mit ihrem Puppenmund, hatte helle Augen, steife und überlange eingesteckte Wimpern, wächserne Wangen und wächserne Schultern, die wie gebraten und verräuchert waren vom Gas. Cadine wartete, daß sie wiederkehre mit ihrem Lächeln; dann war sie beglückt in dem Maße, wie das Profil hervortrat und die schöne Frau sich langsam von links nach rechts herumdrehte. Claude war entrüstet. Er rüttelte Cadine und fragte sie, was sie da mache vor diesem Dreck, vor »dieser verreckten und aus dem Leichenschauhaus aufgelesenen Hure«. Er ereiferte sich gegen diese Leichennacktheit, über diese Häßlichkeit des Hübschen und sagte, daß überhaupt nur noch Frauen wie die da gemalt würden.
Die Kleine war keineswegs überzeugt; sie fand die Frau recht schön. Als sie sich dann gegen den Maler wehrte, der sie am Arm wegzog, und sich ärgerlich ihren schwarzen Wuschelkopf zerkraulte, zeigte sie ihm einen riesigen fuchsroten Schweif, der irgendeiner breitschultrigen Stute ausgerissen worden war, und gestand ihm, daß sie diese Haare gern haben möchte.
Und bei den großen Rundreisen, wenn alle drei, Claude, Cadine und Marjolin, um die Markthallen herumschweiften, gewahrten sie von jeder Straßenecke aus ein Stück des gußeisernen Giganten. Es waren dies plötzliche Ausblicke, unvorhergesehene Architekturen, das gleiche Blickfeld, das sich unaufhörlich unter anderen Aspekten auftat. Besonders in der Rue Montmartre wandte sich Claude um, wenn sie an der Kirche vorbeigekommen waren. Die aus einem schiefen Winkel von fern geschauten Markthallen begeisterten ihn: ein großer Bogengang, ein hohes Tor, tat sich gähnend auf; dann türmten sich die Hallen mit ihren zweistöckigen Dächern, ihren unendlichen Jalousien,
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