Der Bauch von Paris - 3
ihren ungeheuren Markisen; man hatte den Eindruck von den Profilen übereinandergestellter Häuser und Paläste, einem metallenen Babel von indischer Schwerelosigkeit, das von hängenden Terrassen, von schwebenden Wandelgängen und über die Leere geworfenen fliegenden Brücken durchzogen war. Immer wieder kamen sie dorthin zurück, zu dieser Stadt, um die sie herumschlenderten, ohne sich jemals mehr als hundert Schritte von ihr entfernen zu können. Sie kehrten heim in die warmen Nachmittage der Markthallen. Oben sind die Jalousien geschlossen, die Markisen herabgelassen. In den überdachten Straßen ist die Luft eingeschlafen und von einem Aschgrau, das von den Sonnenflecken, die durch die hohen Fenster fallen, mit gelben Stäben durchschnitten wird. Gedämpftes Gemurmel dringt aus dem Markt. Die Schritte der wenigen geschäftigen Vorübergehenden hallen auf den Bürgersteigen, während die Lastträger mit ihren Blechmarken in langer Reihe an den Ecken der Hallen auf den steinernen Einfassungen sitzen, ihre dicken Schuhe ausziehen und ihre schmerzenden Füße pflegen. Es ist der Friede des ruhenden Riesen, worin von Zeit zu Zeit ein Hahnenschrei aus dem Keller der Geflügelhalle aufsteigt. Oft gingen sie dann zuschauen, wie die leeren Körbe auf die Rollwagen geladen wurden, die sie jeden Nachmittag holen kamen, um sie zu den Spediteuren zurückzubringen. Die mit schwarzen Buchstaben und Ziffern bezeichneten Körbe bildeten Gebirge vor den Kommissionslagern in der Rue Berger. Stapel für Stapel stellten die Männer sie symmetrisch auf. Wenn der Stapel auf dem Rollwagen die Höhe eines ersten Stockwerks erreicht hatte, mußte der Mann, der unten geblieben war und ihn im Gleichgewicht hielt, Schwung holen, um ihn seinem Kameraden zuzuwerfen, der mit vorgestreckten Armen oben saß. Claude, der Kraft und Geschicklichkeit liebte, blieb stundenlang, um den Flug der Korbmassen zu verfolgen, und lachte, wenn ein allzu kräftiger Schwung sie davontrug und über den Haufen hinweg auf den Fahrdamm schleuderte. Er schwärmte auch für den Bürgersteig der Rue Rambuteau und den der Rue du PontNeuf an der Ecke der Obsthallen, die Gegend, wo sich die Kleinhändlerinnen aufhielten. Die Gemüse im Freien auf den mit schwarzen feuchten Tüchern bedeckten Tischen entzückten ihn. Um vier Uhr entzündete die Sonne diesen ganzen Winkel von Grünzeug. Neugierig auf die farbigen Köpfe der Händlerinnen, schlenderte er die Gänge hinunter: die vom herben Leben bereits versengten jungen mit dem von einem Netz festgehaltenen Haar, die gebrochenen und verhutzelten alten mit dem roten Gesicht unter dem gelben Foulard ihres Kopftuchs. Cadine und Marjolin lehnten ab, ihm zu folgen, als sie von weitem Mutter Chantemesse erkannten, die ihnen, wütend, sie sich zusammen herumtreiben zu sehen, die Faust zeigte. Auf dem anderen Bürgersteig traf Claude sie dann wieder. Dort fand Claude quer über die Straße hinweg ein prachtvolles Motiv für ein Gemälde: die Kleinhändlerinnen unter ihren großen verschossenen roten, blauen, violetten Sonnenschirmen, die an Stöcken befestigt waren, Buckel auf dem Markt bildeten und ihre kräftigen Rundungen in den Brand des Sonnenuntergangs setzten, der über den Möhren und Kohlrüben erstarb. Eine Händlerin, eine alte Vettel von hundert Jahren, barg unter einem jämmerlichen zerrissenen rosa Seidenschirm drei magere Salatköpfe.
Inzwischen hatten Cadine und Marjolin Léon, den Schlächterlehrling der QuenuGradelles, kennengelernt, als er eines Tages eine Fleischtorte in der Nachbarschaft austrug. Sie sahen, wie er in einem dunklen Winkel der Rue Mondétour den Deckel der Kasserolle hochhob und vorsichtig eine Pastete herausnahm. Sie lächelten sich zu, denn das verschaffte ihnen eine große Meinung von dem Schlingel. Cadine faßte den Plan, einen ihrer heißesten Wünsche zu befriedigen; als sie dem Kleinen wieder mit seiner Kasserolle begegnete, war sie sehr nett zu ihm, ließ sich eine Pastete anbieten, lachte und leckte sich die Finger. Sie war jedoch ein wenig enttäuscht; sie hatte geglaubt, es sei noch besser. Der Kleine allerdings, der ganz in Weiß gekleidet war wie ein Mädchen, das zur Kommunion geht, kam ihr mit seinem durchtriebenen und begehrlichen Schnäuzchen drollig vor. Sie lud ihn zu einem ungeheuren Mahl ein, das sie in den Körben im Butterauktionsraum gab. Alle drei, sie, Marjolin und Léon, schlossen sich dort zwischen den vier Wänden aus Weidengeflecht fern von der Welt ein. Der Tisch
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