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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wurde auf einem breiten flachen Korb gedeckt. Es gab Birnen, Nüsse, weißen Käse, Garnelen, Pommes frites und Radieschen. Der weiße Käse stammte von einer Obsthändlerin in der Rue de la Cossonnerie und war ein Geschenk. Ein Bratkoch in der Rue de la Grande Truanderie hatte ihnen auf Kredit für zwei Sous Pommes frites verkauft. Das übrige, die Birnen, die Nüsse, die Garnelen, die Radieschen, war an allen vier Ecken der Markthallen zusammengestohlen. Es war ein köstlicher Schmaus. Léon wollte an Liebenswürdigkeit nicht nachstehen und erwiderte das Mittagsmahl mit einem Abendessen um ein Uhr nachts auf seiner Stube. Er wartete mit kalter Blutwurst, Wurstringen, einem Stück gekochten Pökelfleisch, Pfeffergurken und Gänseschmalz auf. Die Fleischerei QuenuGradelle hatte alles geliefert. Und das nahm kein Ende mehr. Auf die erlesenen Mittagessen folgten leckere Abendmahlzeiten; eine Einladung löste die andere ab. Dreimal in der Woche fanden diese Feste im engsten Kreis in dem Loch zwischen den Körben und in der Mansarde der QuenuGradelles statt, wo Florent in schlaflosen Nächten gedämpfte Kaugeräusche und flötendes Lachen bis zum Morgengrauen hörte.
    Die Liebe zwischen Cadine und Marjolin wurde dabei immer größer. Sie waren vollkommen glücklich. Er spielte den Liebhaber, führte sie in ein Extrazimmer, in einen dunklen Winkel der Keller, um rohe Äpfel oder Sellerieherzen zu knabbern. Eines Tages stahl er einen Bückling, den sie sich auf dem Dach der Seefischhalle am Rande der Dachrinnen köstlich munden ließen. Es gab kein düsteres Loch in den Markthallen, das ihnen für ihre zärtlichen Liebesmähler nicht ein Versteck geboten hätte. Das ganze Viertel mit seinen Reihen offener Läden voller Obst, Kuchen, Konserven war für sie kein verschlossenes Paradies mehr, um das ihr Leckermaulhunger mit dumpfem Verlangen herumstrich. Wenn sie an den Auslagen vorbeigingen, streckten sie die Hand aus und stibitzten eine Pflaume, eine Handvoll Kirschen, ein Stück Dorsch. Ebenso versorgten sie sich in den Hallen, indem sie in den Gängen aufpaßten, alles auflasen, was herunterfiel, und oft sogar durch einen Stoß mit der Schulter nachhalfen, damit die Körbe mit Waren umfielen. Trotz dieser Plünderei belief sich ihre Schuld bei dem Bratkoch in der Rue de la GrandeTruanderie auf schreckliche Zahlen. Dieser Bratkoch, dessen Bude sich auf ein wackliges, von Balken, die vor Moos grün waren, gestütztes Haus lehnte, hielt gekochte Miesmuscheln feil, die in klarem Wasser auf dem Boden großer Salatschüsseln aus Steingut schwammen, kleine, unter ihrer allzu dicken Teigschicht gelb und steif gewordene Klieschen, Fettdarmwürfel, die im Hinterteil des Ofens schmorten, geröstete Heringe, die schwarz, verkohlt und so hart waren, daß sie wie Holz klangen. In manchen Wochen schuldete ihm Cadine bis zu zwanzig Sous; diese Schuld erdrückte sie. Sie mußte eine unzählbare Menge von Veilchensträußchen verkaufen, denn auf Marjolin brauchte sie überhaupt nicht zu rechnen. Außerdem war sie verpflichtet, Léons Entgegenkommen zu erwidern; sie schämte sich sogar ein wenig, daß sie niemals auch nur mit dem geringsten Fleischgericht aufwartete. Er nahm schließlich ganze Schinken. Gewöhnlich versteckte er alles unter seinem Hemd. Wenn er abends aus der Fleischerei heraufkam, zog er Wurstenden, Leberpastetenscheiben und Packen von Speckschwarten aus seiner Brust hervor. Nur das Brot fehlte, und auch zu trinken hatten sie nichts. Eines Nachts bemerkte Marjolin, wie Léon Cadine zwischen zwei Bissen küßte. Er mußte darüber lachen. Er hätte den Kleinen mit einem Faustschlag zu Boden schlagen können, aber er war bei Cadine keineswegs eifersüchtig; er behandelte sie wie eine gute Freundin, die man schon lange hat.
    Claude nahm an diesen Schmausereien nicht teil. Als er das Blumenmädchen ertappte, wie es eine Kohlrübe aus einem mit Heu ausgelegten Körbchen stahl, hatte er es an den Ohren gezogen und einen Nichtsnutz gescholten. Das fehle ihr gerade noch, sagte er. Und wider Willen empfand er etwas wie Bewunderung für diese sinnlichen, diebischen und gefräßigen Tiere, die losgelassen waren auf den Genuß alles dessen, was herumlag, und die Brosamen auflasen, die vom Nachtisch eines Riesen fielen.
    Marjolin war bei Gavard in Dienst getreten und glücklich, nichts anderes zu tun zu haben, als die endlosen Geschichten seines Brotherrn anzuhören. Cadine verkaufte ihre Sträußchen und hatte sich an Mutter

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