Der Bauch von Paris - 3
Erörterung so sehr erhitzt, daß er ihr sagte, sie werde ja sehen, man werde alles dem Erdboden gleichmachen, und zwei entschlossene Männer wie ihr Schwager und er reichten aus, um Feuer an die Bude zu legen. Das war das schlimme Vorhaben, von dem sie gesprochen hatte, irgendeine Verschwörung, auf die der Geflügelhändler mit geheimnisvoller Miene und einem Grinsen, das auf viel schließen lassen wollte, ständig angespielt hatte. Schon sah sie eine Schar Schutzleute in ihre Fleischerei eindringen und sie, Quenu und Pauline knebeln und alle drei in ein Verlies werfen.
Beim Essen am Abend war sie eisig; sie bediente Florent nicht und sagte wiederholt: »Es ist doch komisch, wieviel Brot wir seit einiger Zeit essen.«
Florent begriff schließlich. Er spürte, daß man ihn als einen Verwandten behandelte, den man vor die Tür setzt. Lisa hatte ihm in den letzten zwei Monaten alte Hosen und Röcke ihres Mannes zum Anziehen gegeben, und da er ebenso dürr wie sein Bruder rundlich war, standen ihm diese zerlumpten Kleidungsstücke recht seltsam. Sie hatte ihm auch dessen alte Wäsche geschenkt, zwanzigmal ausgebesserte Taschentücher, zerschlissene Handtücher und Laken, die gerade noch als Wischlappen zu gebrauchen waren, abgetragene Hemden, die durch den Bauch seines Bruders weiter und so kurz geworden waren, daß sie Florent als Jacken hätten dienen können. Auch sonst fand er nicht mehr rings um sich das weiche Wohlwollen der ersten Tage. Das ganze Haus zuckte die Achseln, wie man es die schöne Lisa tun sah; Auguste und Augustine drehten ihm ausdrücklich den Rücken zu, während die kleine Pauline grausame Bemerkungen eines schrecklichen Kindes über die Flecken in seinen Anzügen und die Löcher in seiner Wäsche machte. In den letzten Tagen hatte er vor allem bei Tisch zu leiden. Er wagte nichts mehr zu essen, wenn er sah, wie ihn das Kind und die Mutter beobachteten, sobald er sich Brot abschnitt. Quenu hielt die Nase auf seinem Teller und vermied es, aufzublicken, um sich nicht in das einzumischen, was da vor sich ging. Es quälte Florent, daß er nicht wußte, wie er das Feld räumen sollte. Fast eine Woche lang drehte und wendete er in seinem Kopf einen Satz hin und her, ohne zu wagen, ihn auszusprechen, einen Satz, um mitzuteilen, daß er von nun an seine Mahlzeiten außer Hause einnehmen werde.
Dieses zarte Gemüt lebte in solchen Vorstellungen, daß er fürchtete, seinen Bruder und seine Schwägerin zu kränken, wenn er nicht mehr bei ihnen esse. Länger als zwei Monate hatte er gebraucht, um Lisas dumpfe Feindseligkeit gewahr zu werden; manchmal glaubte er immer noch, sich zu täuschen, und fand, sie sei sehr gütig zu ihm. Die Uneigennützigkeit war bei ihm so weit gediehen, daß er seine eigenen Belange vergaß, was keine Tugend mehr war, sondern äußerste Gleichgültigkeit, ein völliges Fehlen von Eigenliebe. Niemals – selbst dann nicht, als er sich allmählich davongejagt sah – dachte er an die Erbschaft des alten Gradelle, an die Abrechnung, die ihm seine Schwägerin vorlegen wollte. Er hatte übrigens im voraus einen Haushaltsplan aufgestellt: mit dem Geld, das ihm Frau Verlaque von seinem Gehalt übrigließ, und den dreißig Francs für die eine Unterrichtsstunde, die ihm die schöne Normande verschafft hatte, rechnete er, achtzehn Sous für sein Mittagessen und sechsundzwanzig Sous für sein Abendbrot ausgeben zu können. Das sei vollkommen ausreichend. Endlich wagte er sich eines Morgens heraus damit; er nahm die neue Unterrichtsstunde, die er erteilte, zum Vorwand, um zu behaupten, es sei ihm unmöglich, sich zu den Essenszeiten in der Fleischerei einzufinden. Diese mühselige Lüge ließ ihn erröten. Und er entschuldigte sich:
»Ihr dürft mir das nicht übelnehmen, das Kind ist jedoch nur zu dieser Zeit frei … Es macht mir nichts aus, ich werde außer Haus einen Happen essen und euch dann abends begrüßen kommen.«
Die schöne Lisa blieb ganz kühl, was ihn noch mehr verwirrte. Sie hatte ihn nicht fortschicken wollen, um sich ihrerseits nicht ins Unrecht zu setzen, und vorgezogen, darauf zu warten, daß er es satt bekäme. Er ging, das war eine Last weniger! Sie vermied jede Freundschaftsbeteuerung, die ihn hätte zurückhalten können.
Quenu aber rief ein wenig gerührt:
»Tu dir keinen Zwang an, iß außer Haus, wenn es dir besser paßt … Du weißt, daß wir dich nicht wegschicken, zum Teufel noch mal! Sonntags wirst du doch manchmal einen Teller Suppe mit uns essen
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