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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Fette, die Méhudins sind Fette; Sie haben schließlich nur lauter Fette um sich. Mich würde das beunruhigen.«
    »Und Gavard und Mademoiselle Saget und Ihr Freund Marjolin?« fragte Florent, der fortfuhr zu lächeln.
    »Oh! Wenn Sie wollen«, antwortete Claude, »werde ich Ihnen alle unsere Bekannten einordnen. Seit langem habe ich ihre Köpfe in meinem Atelier in einer Mappe mit genauer Bezeichnung der Gattung, zu der sie gehören. Es ist ein ganzes Kapitel Naturgeschichte … Gavard ist ein Fetter, aber ein Fetter, der sich als Magerer aufspielt. Diese Spielart ist ziemlich verbreitet … Mademoiselle Saget und Madame Lecœur sind Magere, übrigens sehr gefährliche Spielarten, verzweifelte Magere, die zu allem fähig sind, um Fett anzusetzen … Mein Freund Marjolin, die kleine Cadine, die Sarriette sind drei Fette, die noch unschuldig sind und nur den liebenswerten Hunger der Jugend haben. Es ist zu beachten, daß der Fette, solange er noch nicht alt geworden ist, ein reizendes Wesen hat … Herr Lebigre, ein Fetter, nicht wahr? Was Ihre politischen Freunde angeht, so sind sie durch die Bank Magere: Charvet, Clémence, Logre, Lacaille. Ich nehme nur dieses dicke Tier, den Alexandre, und diesen wunderlichen Robine davon aus. Das alles hat mir viel Mühe gemacht.« Der Maler redete weiter in diesem Ton von der Pont du Neuilly bis zum Arc de Triomphe. Er kam wieder darauf zurück, vollendete einzelne Porträts durch einen charakteristischen Zug: Logre sei ein Magerer, der seinen Bauch zwischen den beiden Schultern habe; die schöne Lisa sei ganz und gar Bauch, und die schöne Normande ganz und gar Busen. Fräulein Saget habe sicherlich in ihrem Leben eine Gelegenheit, Fett anzusetzen, verpaßt, denn sie verabscheue die Fetten, obwohl sie eine Verachtung für die Mageren hege. Gavard gefährde sein Fett, er werde platt wie eine Wanze enden.
    »Und Madame François?« warf Florent dazwischen.
    Diese Frage setzte Claude in große Verlegenheit. Er überlegte und stammelte dann:
    »Madame François, Madame François … Nein, da weiß ich nicht, ich habe niemals daran gedacht, sie einzuordnen … Sie ist eine biedere Frau, Madame François, das ist alles. Sie gehört weder zu den Fetten noch zu den Mageren, bei Gott!«
    Beide lachten. Sie befanden sich gegenüber vom Arc de Triomphe. Die Sonne stand auf der Höhe der Hänge von Suresnes so niedrig über dem Horizont, daß die Riesenschatten Florents und Claudes das Weiß des Baudenkmals ganz oben, höher als die Kolossalstatuen der Gruppen, mit zwei schwarzen Balken gleich zwei mit Reißkohle gezogenen Strichen befleckten. Der Maler wurde noch lustiger, schwenkte mit den Armen und bückte sich. Dann sagte er im Weitergehen:
    »Haben Sie gesehen? Wenn die Sonne untergegangen ist, berühren unsere Köpfe den Himmel.«
    Aber Florent lachte nicht mehr. Paris nahm ihn wieder, Paris, das ihn in Schrecken versetzte, nachdem es ihm in Cayenne so viele Tränen gekostet hatte. Als er bei den Markthallen ankam, brach die Nacht herein, und die Gerüche waren zum Ersticken. Er senkte den Kopf und kehrte heim in seinem Alptraum von riesenhafter Nahrung mit der süßen und traurigen Erinnerung an diesen ganzen von Thymian durchdufteten Tag hellen Heils.
     

Kapitel V
    Am nächsten Tag gegen vier Uhr begab sich Lisa zur Kirche SaintEustache. Um den Platz zu überqueren, hatte sie eine feierliche Toilette angelegt, ganz in schwarzer Seide, und ihren gemusterten Wollschal. Der schönen Normande, die ihr vom Fischmarkt aus mit den Augen unter die Kirchentür folgte, blieb die Luft weg.
    »Na ich danke!« meinte sie boshaft. »Die Dicke verfällt jetzt auf die Pfaffen … Das wird die Frau beruhigen, den Hintern in Weihwasser zu tunken.«
    Aber sie irrte, Lisa war keineswegs eine Betschwester. Sie hielt die Vorschriften der Kirche nicht streng ein und pflegte zu sagen, sie bemühe sich, in allen Dingen ehrbar zu bleiben, und das genüge. Sie hatte es jedoch nicht gern, wenn in ihrer Gegenwart abfällig über die Religion gesprochen wurde. Oft brachte sie Gavard zum Schweigen, der für Geschichten von Priestern und Nonnen, für Sakristeizoten, schwärmte. Das erschien ihr gänzlich ungehörig. Man solle jedem seinen Glauben lassen und jedermanns Gewissensbedenken achten. Außerdem seien die Priester übrigens im allgemeinen achtbare Leute. Sie kenne den Abbé Roustan von der Kirche SaintEustache, einen vornehmen Menschen, der immer Rat wisse und dessen Freundschaft sie sehr sicher zu sein

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