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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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gesprochen. Sie wirkte auf ihn wie eine gesunde und stämmige Pflanze, gewachsen wie das Gemüse im Humus ihres Gemüsegartens, während er sich an Lisa und an die beiden Normandes, die schönen Töchter der Markthallen, nur wie an anrüchiges, für die Auslage zurechtgemachtes Fleisch erinnerte. Hier atmete er für ein paar Stunden unumschränktes Wohlbefinden, erlöst von den Nahrungsgerüchen, in denen er närrisch wurde, und ward neugeboren im Saft des Landes gleich jenem Kohlkopf, von dem Claude behauptete, ihn mehr als zehnmal wachsen gesehen zu haben.
    Gegen fünf Uhr verabschiedeten sie sich von Frau François. Sie wollten zu Fuß zurückkehren. Die Gemüsebäuerin begleitete sie bis zum Ende der Gasse und behielt einen Augenblick Florents Hand in der ihren.
    »Kommen Sie, wenn Sie jemals irgendwelchen Kummer haben«, sagte sie leise.
    Eine Viertelstunde lang wanderte Florent, ohne ein Wort zu sagen, bereits wieder düster geworden, und sagte sich, daß er sein Heil hinter sich lasse. Die Landstraße nach Courbevoie war weiß von Staub. Beide liebten sie weite Ausflüge und die schweren, auf dem harten Boden dröhnenden Stiefel. Kleine Staubwolken flogen bei jedem Schritt hinter ihren Fersen auf. Die schrägen Sonnenstrahlen fielen seitlich auf die Straße und verlängerten ihre beiden Schatten so unmäßig quer über den Fahrdamm, daß ihre Köpfe bis zur anderen Kante reichten und auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig entlangliefen.
    Claude machte, mit den Armen schlenkernd, große und regelmäßige Schritte, betrachtete wohlgefällig die beiden Schatten und freute sich selbstvergessen an dem Rhythmus des Gehens, den er noch übertrieb, indem er ihn mit den Schultern unterstrich. Plötzlich fragte er, wie aus einer Träumerei aufwachend:
    »Kennen Sie den Kampf der Fetten und der Mageren44?«
    Florent verneinte überrascht.
    Da begeisterte sich der Maler, sprach von dieser Serie von Stichen mit großem Lob. Er beschrieb ein paar Motive: Die zum Platzen unförmigen Fetten bereiten den Abendschmaus, während die vom Fasten gebeugten Mageren mit dem Gesichtsausdruck neidischer Hopfenstangen von der Straße aus zusehen; und dann, wie die Fetten mit überquellenden Backen bei Tisch einen Mageren davonjagen, der die Verwegenheit besessen, demütig einzutreten, und einem Kegel unter dem Volk der Kugeln glich. Claude erblickte darin die ganze menschliche Tragödie und teilte alle Welt in Magere und Fette ein, in zwei feindliche Gruppen, von denen die eine die andere zerfleischt, sich den Bauch mästet und genießt.
    »Sicherlich«, sagte er, »war Kain fett und Abel mager. Vom ersten Totschlag an sind es immer die Heißhungrigen, die den schwachen Essern das Blut aussaugen … Es ist fortgesetztes Auffressen vom Schwächsten bis zum Stärksten, von denen jeder seinen Nachbar verschlingt und seinerseits gleichfalls verschlungen wird … Hüten Sie sich vor den Fetten, mein Lieber!« Er schwieg einen Augenblick und verfolgte fortwährend mit den Augen ihre beiden Schatten, die die untergehende Sonne noch mehr in die Länge zog. Und er murmelte: »Wir gehören zu den Mageren, wir, verstehen Sie … Sagen Sie mir, ob man mit so einem platten Bauch, wie wir ihn haben, denn viel Platz in der Sonne einnimmt!«
    Florent sah lächelnd auf die beiden Schatten.
    Aber Claude wurde böse. Er rief:
    »Es ist unrecht von Ihnen, das schrullig zu finden. Ich, ich leide darunter, ein Magerer zu sein. Wenn ich ein Fetter wäre, würde ich in Ruhe malen, hätte ein schönes Atelier und verkaufte meine Bilder für schweres Geld. Statt dessen bin ich ein Magerer, will sagen, daß ich mein ganzes Wesen abmühe, um tolle Bilder zu machen, über die die Fetten nur die Achseln zucken. Ich werde darüber sterben, das ist sicher, mit an den Knochen klebender Haut und so platt, daß man mich zum Beerdigen zwischen zwei Blätter eines Buches wird legen können … Und Sie erst! Sie sind ein Wunder an Magerkeit, der König der Mageren, mein Ehrenwort. Erinnern Sie sich an Ihren Streit mit den Fischweibern? Es war prachtvoll, diese Riesenbusen, losgelassen auf Ihre schmale Brust; und sie handelten triebhaft, sie machten Jagd auf den Mageren, wie die Katzen auf die Mäuse Jagd machen … Grundsätzlich, verstehen Sie, verabscheut der Fette den Mageren so sehr, daß er das Bedürfnis empfindet, ihn sich mit Zahnhieben oder mit Fußtritten aus den Augen zu schaffen. Darum würde ich an Ihrer Stelle Vorsichtsmaßnahmen treffen. Die Quenus sind

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