Der Bauch von Paris - 3
ersten Entwürfen von Bäuchen, über die ein Bildhauer feuchte Tücher geworfen hat; andere Klumpen, die angerissen und mit breiten Messern zu spitzen Felsen voller Täler und Brüche geschnitten waren, wirkten wie eingefallene, von der Blässe eines Herbstabends vergoldete Gipfel. Unter den Auslagentisch aus rotem, graugeädertem Marmor setzten Eierkörbe ein Kreideweiß; und in Kisten bildeten die auf Strohhürden dicht an dicht gelegten Bondons52 und die wie Medaillen flach angeordneten Gournaykäse dunklere, mit grünlichen Tönen gefleckte Flächen. Aber vor allem auf dem Tisch stapelten sich die Käse. Neben Pfundstücken Butter in Runkelblättern breitete sich ein riesiger, gleichsam von Axthieben gespaltener Auvergnerkäse; dann kamen ein goldfarbener Chesterkäse, ein Schweizerkäse, der einem von einem Barbarengefährt abgefallenen Rade glich, und Edamer, rund wie abgeschlagene Köpfe, mit angetrocknetem Blut beschmiert und hart wie hohle Schädel, weswegen sie Totenköpfe heißen. Ein Parmesankäse brachte in diese Schwere gekochten Breis seine Prise aromatischen Dufts. Drei Briekäse auf runden Brettern hatten die Schwermut glanzloser Monde; zwei, die sehr trocken waren, bildeten Vollmonde; der dritte war im zweiten Viertel und lief, entleerte sich von weißer Sahne, die sich zu einem See ausgebreitet hatte und die dünnen Brettchen einriß, mit denen vergeblich versucht worden war, ihn zusammenzuhalten. Port Saluts53, die antiken Diskusscheiben glichen, zeigten als Inschrift den aufgedruckten Namen der Fabrikanten. Ein in sein Silberpapier gekleideter Romadur vermittelte das Trugbild einer Nougatstange, eines gezuckerten Käses, der sich unter diese scharfen Gärungen verirrt hatte. Auch die Roqueforts unter ihren Kristallglocken setzten fürstliche Mienen auf, marmorierte und feiste, blau und gelb geäderte Gesichter, gleichsam von einer schändlichen Krankheit reicher Leute angegriffen, die zuviel Trüffeln gegessen haben, während daneben in einer Schüssel harte, leicht graue, kinderfaustgroße Ziegenkäse an Kiesel erinnerten, die die Böcke, wenn sie ihre Herde führen, an den Biegungen der steinigen Pfade ins Rollen bringen. Dann begannen die Stinkerkäse: die hellgelben, süßlich stinkenden Montd’orKäse; die sehr dicken, an den Rändern gequetschten TroyesKäse von bereits kräftigerer Schärfe, die einen Gestank nach feuchtem Keller hinzufügten; die Camemberts mit dem strengen Duft zu lange abgehangenen Wildbrets; die viereckigen Neufchâteller, Limburger, Marolles54 und Pontl’Evêques55 brachten jeder seine grelle und besondere Note in diesen bis zur Übelkeit herben Tonsatz; die Livarots56, die rot gefärbt und in der Kehle furchtbar waren wie Schwefeldampf; schließlich dann über allen anderen die Olivets57, die in Nußbaumblätter gewickelt waren gleich dem in der Sonne dampfenden Aas, das die Bauern am Rand eines Feldes mit Zweigen zudecken. Der heiße Nachmittag hatte die Käse erweicht. Der Schimmel der Rinden schmolz, überzog sich mit den üppigen Tönen von rotem Kupfer und Grünspan gleich schlechtgeschlossenen Wunden. Unter den Eichenblättern hob ein Hauch die Haut der Olivets, die wie eine Brust schlug beim langsamen und weiten Atem eines schlafenden Menschen. Eine Woge von Leben hatte einen Livarot durchlöchert, der durch diese Kerbe ein Volk von Maden gebar. Und hinter der Waage verströmte ein mit Anis gewürzter Géromé58 in seiner dünnen Schachtel eine solche Verpestung, daß rings um ihn Fliegen auf den graugeäderten roten Marmor gefallen waren.
Diesen Géromé hatte Fräulein Saget fast unter der Nase. Sie wich zurück und lehnte ihren Kopf gegen die großen Bogen gelben und weißen Papiers, die hinten im Stand an einer Ecke aufgehängt waren. »Ja«, wiederholte sie mit einer Grimasse des Ekels, »er kommt aus dem Zuchthaus … Na, die QuenuGradelles haben es nicht nötig, stolz zu tun!«
Aber Frau Lecœur und die Sarriette stießen Rufe der Verwunderung aus. Das war ja nicht möglich! Was hatte er denn verbrochen, um ins Zuchthaus zu kommen? Hätte man jemals vermutet, daß sich diese Madame Quenu, diese tugendsame Frau, die den Ruhm des Viertels ausmachte, einen Liebhaber im Zuchthaus aussuchte?
»Ach nein, Sie irren sich«, rief die Alte ungeduldig aus. »Hören Sie mir doch zu … Ich wußte genau, daß ich diesen langen Kerl schon irgendwo gesehen hatte.« Sie erzählte ihnen Florents Geschichte. Jetzt erinnerte sie sich auch eines unbestimmten
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