Der Bauch von Paris - 3
vielleicht gefährlich, sich über die schöne Lisa herzumachen, aber »den Roten müsse man erledigen«, damit er nicht mehr das Geld des armen Herrn Gavard verzehre.
Bei Nennung Gavards entstand eine Stille. Alle drei sahen sich mit verständnisvoller Miene an. Und als sie etwas verschnauften, rochen sie vor allem den Camembert. Der hatte mit seinem Wildbretdunst die dumpferen Düfte des Marolles und des Limburger besiegt: er verbreitete seine Ausdünstungen und erstickte alle anderen Gerüche mit seiner überraschenden Überfülle verdorbenen Atems. In diesen kräftigen Tonsatz warf indessen dann und wann der Parmesan einen dünnen Hirtenflötenstrahl, während die Briekäse die schale Süßigkeit feuchter Tamburins hineinbrachten. Es erfolgte eine atembeklemmende Reprise des Livarot. Und diese Symphonie verharrte einen Augenblick auf einem grellen Ton des mit Anis versetzten Géromé, der als Orgelpunkt lang nachhallte.
»Ich habe Madame Léonce gesehen«, begann Fräulein Saget wieder mit einem bezeichnenden kurzen Blick.
Da wurden die beiden anderen ganz aufmerksam. Frau Léonce war die Concierge von Gavard in der Rue de la Cossonnerie. Er wohnte dort in einem alten, etwas zurückgelegenen Hause, dessen Fassade der Besitzer des das Erdgeschoß einnehmende Zitronen und Apfelsinenlagers bis zum zweiten Stock hatte blau anstreichen lassen. Frau Léonce führte ihm den Haushalt, verwahrte die Schlüssel seiner Schränke und brachte ihm Gesundheitstee hinauf, wenn er erkältet war. Sie war eine sehr strenge Frau von fünfzig und einigen Jahren und sprach unendlich langsam; eines Tages war sie sehr verärgert, weil Gavard sie in die Hüfte gekniffen hatte, was sie nicht hinderte, ihm an einer heiklen Stelle Blutegel anzusetzen, als er einmal gefallen war. Fräulein Saget, die an jedem Mittwochabend in ihre Conciergeloge eine Tasse Kaffee trinken ging, verband, seit Gavard in dem Hause wohnte, eine noch engere Freundschaft mit ihr. Stundenlang plauderten sie zusammen über den würdigen Mann; sie hatten ihn sehr gern und wollten sein Bestes.
»Ja, ich habe Madame Léonce gesehen«, wiederholte die Alte, »wir haben gestern zusammen Kaffee getrunken … Ich habe sie sehr bekümmert gefunden. Es scheint, daß Herr Gavard nicht mehr vor ein Uhr nachts nach Hause kommt. Am Sonntag hat sie ihm Fleischbrühe hinaufgebracht, weil sie gesehen hatte, daß sein Gesicht ganz verstört war.«
»Gehen Sie mir, die weiß schon, was sie tut«, meinte Frau Lecœur, die diese Fürsorge der Concierge beunruhigte.
Fräulein Saget glaubte, ihre Freundin verteidigen zu müssen.
»Keineswegs, Sie irren sich … Madame Léonce ist über ihre Lage erhaben. Sie ist eine ganz untadelige Frau … Ach ja, wenn sie sich bei Herrn Gavard die Hände füllen wollte, so hätte sie sich schon lange bloß zu bücken brauchen. Anscheinend läßt er alles herumliegen … Gerade deswegen möchte ich mit Ihnen sprechen. Aber Schweigen, nicht wahr? Ich sage Ihnen das unter dem Siegel der Verschwiegenheit.«
Sie schworen bei allen Göttern, daß sie sich stumm verhalten würden. Sie machten lange Hälse.
Da begann die andere feierlich:
»Mögen Sie also erfahren, daß mit Herrn Gavard seit einiger Zeit alles mögliche los ist … Er hat Waffen gekauft, eine große Pistole, die sich dreht, Sie wissen ja. Frau Léonce sagt, daß es ganz schrecklich ist, daß diese Pistole immer auf dem Kamin oder auf dem Tisch liegt und sie sich nicht mehr Staub zu wischen traut … und das ist noch gar nichts! Sein Geld …«
»Sein Geld«, wiederholte Frau Lecœur, deren Wangen glühten.
»Nun ja, er hat keine Aktien mehr, er hat alles verkauft. Jetzt hat er einen Haufen Gold in seinem Schrank ….«
»Einen Haufen Gold«, sagte die Sarriette hingerissen.
»Ja, einen großen Haufen Gold. Er hat eine ganze Masse davon im Schrank. Das gleißt. Madame Léonce hat mir erzählt, daß er eines Morgens in ihrer Gegenwart den Schrank aufgemacht hat und daß ihr die Augen weh getan haben, so glänzte das.«
Erneut trat Schweigen ein. Die Augenlider der drei Frauen zwinkerten, als hätten sie den Haufen Gold gesehen.
Die Sarriette begann als erste zu lachen und brummte:
»Ich, ich würde mich mit Jules hübsch vergnügen, wenn mein Onkel mir das vermacht … Wir würden nicht mehr aufstehen und uns gute Dinge aus dem Restaurant raufbringen lassen.«
Frau Lecœur war wie zermalmt unter dieser Enthüllung, unter diesem Gold, das sie nun nicht aus ihrem Gesichtskreis
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