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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Gerüchtes, das seinerzeit in Umlauf gewesen war, über einen Neffen des alten Gradelle, der nach Cayenne geschickt worden war, weil er auf einer Barrikade sechs Gendarmen getötet hatte. Sie hatte ihn sogar einmal in der Rue Pirouette gesehen. Der war es sicher, der war der angebliche Vetter. Dann fing sie an zu jammern, sie verliere ihr Gedächtnis, sie sei hin, bald werde sie nichts mehr wissen. Sie beweinte dieses Sterben ihres Gedächtnisses wie ein Gelehrter, der die durch die Arbeit eines ganzen Daseins zusammengetragenen Aufzeichnungen im Winde davonfliegen sieht.
    »Sechs Gendarmen!« murmelte die Sarriette voller Bewunderung. »Was muß er für eine starke Faust haben, dieser Mann.«
    »Und er hat noch anderes gemacht«, fügte Fräulein Saget hinzu. »Ich rate Ihnen nicht, ihm um Mitternacht zu begegnen.«
    »Was für ein Schurke!« stammelte Frau Lecœur ganz entsetzt.
    Die Sonne fiel schräg in die Halle, und die Käse stanken noch stärker. In diesem Augenblick herrschte der Marolles vor; er schleuderte gewaltige Rülpser, einen Gestank nach alter Streu in die Schalheit der Butterklumpen. Dann schien sich der Wind zu drehen; jäh drang zu den drei Frauen das Röcheln des Limburgers, scharf und bitter, wie aus der Kehle eines Sterbenden gehaucht.
    »Aber«, fuhr Frau Lecœur fort, »dann ist er der Schwager der dicken Lisa … Er hat nicht geschlafen mit …«
    Sie sahen sich an, überrascht über diese Seite des neuen Falles Florent. Es ärgerte sie, ihre erste Auslegung aufzugeben. Die alte Jungfer zuckte die Schultern und verstieg sich zu der Behauptung:
    »Das würde nicht hindern … obgleich mir das offen gestanden wirklich hahnebüchen vorkäme … Kurz und gut, ich würde meine Hand nicht ins Feuer legen.«
    »Übrigens«, bemerkte die Sarriette, »dürfte das vorbei sein. Er wird nicht mehr mit ihr schlafen, wo Sie ihn doch mit den beiden Méhudins gesehen haben.«
    »Allerdings, genau wie ich Sie sehe, meine Liebe«, rief Fräulein Saget eingeschnappt, weil sie annahm, man zweifle an ihr. »Jeden Abend steckt er in den Röcken der Méhudins … Außerdem ist uns das gleichgültig. Soll er geschlafen haben mit wem er will, nicht wahr? Wir sind ehrbare Frauen, wir … Das ist ein toller Schurke!«
    »Zweifellos«, schlossen die beiden andern, »ein abgefeimter Bösewicht.«
    Im ganzen nahm die Geschichte eine tragische Wendung; sie trösteten sich, daß sie die schöne Lisa schonen mußten, indem sie auf irgendeine entsetzliche, von Florent herbeigeführte Katastrophe rechneten. Offensichtlich hegte er schlimme Absichten, denn diese Leute rücken nur aus, um überall Feuer zu legen; ein solcher Mann konnte nicht in den Markthallen zu arbeiten angefangen haben, ohne dort irgendeinen »Streich anzuzetteln«. Nun gab es die erstaunlichsten Vermutungen. Die beiden Händlerinnen erklärten, sie würden noch ein Vorhängeschloß an ihrem Vorratsraum anbringen. Sogar die Sarriette erinnerte sich, daß man ihr in der vorigen Woche einen Korb Pfirsiche gestohlen hatte. Fräulein Saget jedoch jagte ihnen einen Schreck ein, indem sie die beiden belehrte, so verführen die »Roten« nicht, die machten sich überhaupt nichts aus einem Korb Pfirsiche, die rotteten sich zu zwei oder dreihundert zusammen, um alle Welt zu töten und nach Belieben auszuplündern. Das sei eben Politik, sagte sie mit der Überlegenheit einer gebildeten Person. Frau Lecœur wurde krank davon; sie sah die Markthallen in Flammen aufgehen, eine Nacht, in der sich Florent mit seinen Spießgesellen in den Kellern versteckt hielt, um sich von dort aus auf Paris zu stürzen.
    »Ah, da fällt mir ein«, sagte auf einmal die Alte, »da ist doch die Erbschaft von dem alten Gradelle … Schau, schau! Die Quenus müssen nichts zu lachen haben.«
    Sie war ganz aufgeheitert. Die Klatschereien nahmen eine Wendung; man fiel über die Quenus her, nachdem Fräulein Saget die Geschichte von dem Schatz im Pökelfaß erzählt hatte, die sie bis in die winzigsten Einzelheiten kannte. Sie nannte sogar die Summe von fünfundachtzigtausend Francs, ohne daß Lisa noch ihr Mann sich hätten erinnern können, sie jemals einer lebenden Seele anvertraut zu haben. Einerlei, die Quenus hatten dem »langen Dürren« seinen Anteil nicht ausbezahlt. Dazu war er zu schlecht angezogen. Vielleicht kannte er die Geschichte von dem Pökelfaß nicht einmal. Alles Diebe, diese Leute! Dann schoben sie die Köpfe näher zusammen, senkten die Stimmen und entschieden, es sei

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