Der Bauch von Paris - 3
Handvoll Mirabellen zu ergreifen, die sich bald zu dem Bondon in dem Strohkorb gesellte. Dann tat sie, als wolle sie die Markthallen verlassen; aber sie machte, langsam dahingehend, einen Umweg durch eine der überdachten Straßen und überlegte, daß Mirabellen und ein Bondon eine allzu kärgliche Hauptmahlzeit ergäben. Gewöhnlich war sie nach ihrem Nachmittagsrundgang, wenn es ihr nicht geglückt war, sich ihren Strohkorb von denen, die sie mit Schmeicheleien und Geschichten überschüttete, füllen zu lassen, auf die Speisereste angewiesen. Verstohlen kehrte sie zur Butterhalle zurück. Dort befinden sich an der Seite der Rue Berger hinter den Büros der Austernkommissionäre die Stände für gekochtes Fleisch. Jeden Morgen halten kleine geschlossene, kistenförmige, mit Zink ausgeschlagene und mit Luftlöchern versehene Wagen vor den Toren der großen Küchen und holen durcheinander die Tafelreste der Restaurants, Botschaften und Ministerien ab. Das Auslesen wird im Keller vorgenommen. Ab neun Uhr stehen die zurechtgemachten Teller zu drei und fünf Sous zum Verkauf aus: Fleischstücke, Wildbretschnitten, Köpfe und Schwänze von Fischen, Gemüse, Wurstwaren, sogar Nachspeise, kaum angeschnittene Kuchen und fast unversehrte Bonbons. Hungerleider, kleine Angestellte, vor Fieberfrost zitternde Frauen stehen Schlange; manchmal johlen die Straßenjungen über die bleichen Aussätzigen, die mit verstohlenen Blicken einkaufen und spähen, ob niemand sie sieht. Fräulein Saget schlich sich zu einem Laden, wo die Händlerin mit der Behauptung prahlte, nur aus den Überbleibseln der Tuilerien stammenden Abhub zu verkaufen. Eines Tages hatte sie ihr sogar eine Scheibe Hammelkeule mit der Versicherung aufgeredet, sie komme vom Teller des Kaisers. Diese mit einem gewissen Stolz verzehrte Hammelkeule blieb gleichsam ein Trost für die Eitelkeit der alten Jungfer. Wenn sie sich versteckte, so übrigens, um sich den Zutritt zu den Geschäften im Viertel zu bewahren, in denen sie sich herumtrieb, ohne jemals etwas zu kaufen. Ihre Taktik war, sich mit den Lieferanten zu überwerfen, sobald sie deren Geschichte wußte. Sie ging zu anderen, verließ sie, söhnte sich aus und machte die Runde durch die Markthallen, so daß sie sich schließlich in allen Läden niederließ. Man hätte glauben mögen, sie tätige ungeheure Einkäufe, während sie in Wirklichkeit von Geschenken lebte und von Tafelabfällen, die sie mit ihrem eigenen Geld bezahlte, wenn ihr jede andere Hoffnung geschwunden war.
An diesem Abend stand nur ein großer alter Mann vor dem Laden. Er beschnupperte einen Teller mit durcheinandergemischtem. Fisch und Fleisch. Fräulein Saget ihrerseits beschnupperte eine Portion kalten Braten. Der kostete drei Sous. Sie feilschte und bekam ihn für zwei Sous. Der kalte Braten wurde von dem Strohkorb verschlungen. Aber andere Käufer kamen; die Nasen näherten sich mit gleichförmigen Bewegungen den Tellern. Der Geruch der Auslage war Übelkeit erregend, ein Geruch nach fettigem Geschirr und schlechtgespültem Ausguß.
»Kommen Sie mich morgen besuchen«, sagte die Händlerin zu der Alten. »Ich werde Ihnen etwas Gutes zurücklegen … In den Tuilerien findet heute abend ein großes Essen statt.«
Fräulein Saget versprach zu kommen, als sie sich umdrehte und Gavard gewahrte, der zugehört hatte und sie ansah. Sie wurde hochrot, zog ihre mageren Schultern ein, ging davon und schien ihn nicht zu erkennen. Aber er folgte ihr einen Augenblick, zuckte die Achseln und brummelte, die Bosheit dieser Ehrabschneiderin wundere ihn von dem Augenblick an nicht mehr, da sie sich mit dem Unrat vergifte, über den man in den Tuilerien gerülpst habe.
Vom nächsten Morgen an lief ein dumpfes Gerücht durch die Markthallen. Frau Lecœur und die Sarriette hielten ihre großen Verschwiegenheitsschwüre. Unter diesen Umständen zeigte sich Fräulein Saget besonders geschickt: sie schwieg und überließ es den beiden anderen, für die Verbreitung von Florents Geschichte Sorge zu tragen. Anfangs war das ein zusammengestrichener Bericht, bloße Worte, die sich ganz leise herumsprachen; dann verschmolzen die verschiedenen Auslegungen, die Zwischenhandlungen zogen sich in die Länge, eine Sage entstand, in der Florent die Rolle eines Schreckgespenstes spielte. Er habe auf der Barrikade in der Rue Grenéta zehn Gendarmen umgebracht; er sei auf einem Schiff mit Seeräubern zurückgekehrt, die alles auf dem Meere niedermetzelten; seit seiner Ankunft
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