Der Bauch von Paris - 3
Insektenstichen. Er war so elend, so ausgehungert, daß man Angst vor ihm hatte. Fünfzig Schritt vom Hause entfernt, warf man ihm etwas zu essen hin, während der Hausherr mit einem Gewehr seine Tür bewachte.«
Florent schwieg, die Stimme versagte ihm, sein Blick war in die Ferne gerichtet. Er schien nur noch für sich selber zu sprechen. Die kleine Pauline, die der Schlaf übermannte, lauschte gebannt, das Köpfchen zurückgelehnt, und machte Anstrengungen, ihre verwunderten Augen offenzuhalten.
Quenu wurde ärgerlich und schrie Léon an:
»Rindvieh! Du kannst also nicht einmal einen Darm halten … Wenn du mich schon ansiehst! Nicht mich sollst du ansehen, sondern den Darm … So wie jetzt! Nun halt still.«
Léon hob mit der rechten Hand ein langes Stück leeren Darm hoch, in dessen Ende ein sehr weiter Trichter hineingesteckt war. Mit der Linken wickelte er die Blutwurst, soweit der Fleischermeister große Löffel voll in den Trichter füllte, um ein Becken, um eine runde Metallschale. Der Brei floß ganz schwarz und dampfend und blähte den Darm nach und nach, der in weichen Krümmungen bauchig herunterfiel. Da Quenu den Kessel vom Feuer gezogen hatte, erschienen sie beide, er und Léon – der Junge mit schmalem Profil, er mit breitem Gesicht –, im feurigen Schein der Glut, die ihre bleichen Gesichter und ihre weiße Kleidung mit einem rosigen Ton erhitzte.
Lisa und Augustine verfolgten aufmerksam diese Tätigkeit, Lisa besonders, die ihrerseits auf Léon ungehalten war, weil er den Darm zu sehr mit den Fingern einkniff, wodurch, wie sie sagte, Knoten entstünden. Als die Wurst eingefüllt war, ließ Quenu sie sacht in einen Kessel mit kochendem Wasser gleiten. Er wirkte ganz erleichtert, denn er brauchte sie nur noch kochen zu lassen.
»Und der Mann, und der Mann«, flüsterte Pauline von neuem, die die Augen wieder öffnete, erstaunt, den Onkel nicht mehr sprechen zu hören.
Florent wiegte sie auf seinem Knie, dämpfte seine Erzählung, flüsterte sie wie ein Schlaflied.
»Der Mann«, sagte er, »gelangte in eine große Stadt. Man hielt ihn zuerst für einen entflohenen Zuchthäusler; er wurde mehrere Monate im Gefängnis festgehalten … Dann ließ man ihn frei, und er übte alle möglichen Berufe aus, war Buchhalter, brachte den Kindern das Lesen bei, eines Tages fing er sogar als Tagelöhner bei Erdarbeiten an … Immer träumte der Mann davon, in seine Heimat zurückzukehren. Als er das notwendige Geld erspart hatte, bekam er das gelbe Fieber. Man hatte ihn schon für tot gehalten und seine Kleider geteilt; und als er es überstanden hatte, fand er nicht einmal mehr ein Hemd vor … Er mußte wieder von vorn anfangen. Der Mann war sehr krank; er hatte Angst, dort unten zugrunde zu gehen … Schließlich konnte der Mann abreisen. Der Mann kehrte heim.«
Die Stimme war immer leiser geworden. Sie erstarb in einem letzten Zittern der Lippen. Die kleine Pauline schlummerte, eingeschläfert durch den Schluß der Geschichte, den Kopf an die Schulter des Onkels gelegt. Er stützte sie mit dem Arm und wiegte sie nach wie vor unmerklich und sacht auf seinem Knie. Und da keiner mehr auf ihn achtete, blieb er, ohne sich zu rühren, mit dem eingeschlafenen Kind sitzen.
Jetzt kam der Knalleffekt, wie sich Quenu ausdrückte. Er zog die Blutwurst aus dem Kessel. Damit die Enden weder platzten noch zusammenklebten, nahm er sie mit einem Stock heraus, wickelte sie darauf und trug sie in den Hof, wo sie auf Gittergestellen schnell trocknen sollten. Diese über und über schwitzenden Blutwurstgirlanden, die die Küche durchquerten, ließen Schleppen starken Dampfes hinter sich, die die Luft darin noch stickiger machten. Auguste warf einen letzten Blick auf das zerlassene Schweineschmalz und hatte die Deckel von den beiden Kesseln gehoben, in denen das Fett schwerfällig brodelte, wobei aus jeder platzenden Blase mit leichtem Knall scharfer Dampf entwich. Seit Beginn der Abendarbeit war die Fettflut gestiegen. Jetzt ertränkte sie das Gaslicht, erfüllte den Raum, floß überallhin und tauchte das versengte Weiß Quenus und seiner beiden Gesellen in Nebel. Lisa und Augustine waren aufgestanden. Alle schnauften, als hätten sie zuviel gegessen.
Augustine ging, die eingeschlafene Pauline auf ihren Armen, nach oben. Quenu, der die Küche gern selber abschloß, entließ Auguste und Léon mit dem Bemerken, er werde die Blutwurst hereinschaffen. Der Lehrling war ganz rot, als er ging; er hatte fast einen Meter
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