Der Bauch von Paris - 3
Blutwurst unter sein Hemd gleiten lassen, die ihn wohl röstete. Das Ehepaar Quenu und Florent, die allein geblieben waren, schwiegen zunächst. Lisa aß stehend ein Stück der ganz heißen Wurst, von der sie vorsichtig mit den Zähnen abbiß, wobei sie ihre schönen Lippen beiseite zog, um sie nicht zu verbrennen, und das Stück verschwand nach und nach in all dem Rosa.
»Bitte sehr!« sagte sie. »Die Normande ist zu Unrecht so grob gewesen … Die Blutwurst ist gut heute.«
Es klopfte an der Flurtür; Gavard kam herein. Er blieb alle Abende bis Mitternacht bei Herrn Lebigre. Er kam, um sich wegen der Aufseherstelle in der Seefischhalle eine endgültige Antwort zu holen.
»Sie müssen das verstehen«, erklärte er. »Herr Verlaque kann nicht länger warten. Er ist wirklich sehr krank … Florent muß sich entscheiden. Ich habe versprochen, ihm gleich morgen früh Antwort zu geben.«
»Aber Florent nimmt ja an«, antwortete Lisa ruhig und biß wieder in ihre Blutwurst.
Florent, der, von einer seltsamen Ermattung ergriffen, seinen Stuhl nicht verlassen hatte, versuchte vergeblich, aufzustehen und Einspruch zu erheben.
»Nein, nein«, fuhr Frau Quenu fort, »die Sache ist abgemacht … Sehen Sie, mein lieber Florent, Sie haben genug durchgemacht. Das ist ja erschütternd, was Sie da eben erzählt haben. Es ist Zeit, daß Sie in ordentliche Verhältnisse kommen. Sie stammen aus einer achtbaren Familie, Sie sind ein gebildeter Mann, und es schickt sich wirklich nicht, sich wie ein Bettler herumzutreiben … In Ihrem Alter sind solche Kindereien nicht mehr erlaubt … Sie haben Dummheiten gemacht – schön, man wird sie vergessen und sie Ihnen verzeihen. Sie werden wieder Ihrer Klasse angehören, der Klasse der ehrbaren Leute, und Sie werden endlich wieder wie die andern leben.«
Florent hörte ihr verwundert zu und fand keine Worte. Zweifellos hatte sie recht. Sie war so gesund, so ruhig, daß sie nichts Schlechtes wollen konnte. Er, der Abgemagerte mit dem schwarzen und verdächtigen Profil, mußte wohl schlecht sein und von nicht einzugestehenden Dingen träumen. Er wußte nicht mehr, warum er sich so lange gesträubt hatte.
Inzwischen fuhr sie fort, ihn wie einen kleinen Jungen, der dumme Streiche gemacht hat und dem man mit den Gendarmen droht, ausgiebig auszuzanken. Sie war sehr mütterlich und fand sehr überzeugende Gründe. Dann brachte sie als letztes Argument an: »Florent, tun Sie das uns zuliebe. Wir nehmen hier im Viertel eine gewisse Stellung ein, die uns zu vielen Rücksichten zwingt … Unter uns gesagt, habe ich Angst, daß es Gerede gibt. Dieser Posten wird alles beilegen. Sie werden etwas sein. Sie werden uns sogar Ehre machen.«
Sie begann zu schmeicheln. Eine Übersättigung erfüllte Florent; er war wie durchdrungen von diesem Küchengeruch, der ihn nährte mit der ganzen Nahrung, mit der die Luft geschwängert war. Er glitt ab in die glückliche Trägheit des ständigen Verdauens dieser fetten Umgebung, in der er seit vierzehn Tagen lebte. Es war dies ein tausendfaches Prickeln auf der Haut, eine langsame Inbesitznahme seines ganzen Wesens, eine weiche und spießerhafte Süßigkeit. Zu dieser vorgerückten Nachtstunde schmolzen in der Hitze dieses Raumes seine Herbheit und sein Wille in ihm; er fühlte sich so schlaff geworden durch diesen ruhigen Abend, durch diese Düfte von Blutwurst und Schweineschmalz, durch die dicke, auf seinen Knien eingeschlafene Pauline, daß er sich bei dem Wunsch überraschte, weitere solche Abende zu verbringen, Abende, bei denen er Fett ansetzen würde. Es war jedoch vor allem Mouton, der den Ausschlag gab. Mouton schlief tief, den Bauch nach oben gekehrt, eine Pfote auf der Nase, den Schwanz gegen die Flanken zurückgelegt, wie um sich seiner als Daunenkissen zu bedienen, und er schlief in einem solchen Katerglück, daß Florent, während er ihn ansah, murmelte:
»Nein, das ist schließlich zu dumm … Ich nehme an. Richten Sie aus, daß ich annehme, Gavard.«
Da aß Lisa ihre Blutwurst auf und wischte sich am Schürzenzipfel sacht die Finger ab. Sie schickte sich an, den Leuchter für ihren Schwager zurechtzumachen, während ihn Gavard und Quenu zu seinem Entschluß beglückwünschten. Schließlich mußte man ja nach allem ein Ende damit machen; die halsbrecherischen Gefahren der Politik bringen nichts ein. Sie hatte den Leuchter angesteckt, und stehend sah sie Florent zufrieden an mit ihrem ruhigen schönen Gesicht einer heiligen Kuh.
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