Der Bauch von Paris - 3
Wenn der Geruch dieser Kocherei allzu stark wurde, warf Florent die Fische auf die Straße. Meistens lachte er. Nach zwei Monaten begann Murx fließend zu lesen, und seine Schreibhefte sahen sehr sauber aus.
Am Abend jedoch lag der Schlingel seiner Mutter mit Erzählungen von seinem guten Freund Florent in den Ohren – sein guter Freund Florent habe Bäume gezeichnet und Hütten mit Männern darin; sein guter Freund Florent habe so eine Handbewegung gemacht und gesagt, die Menschen wären besser, wenn sie alle lesen könnten –, so daß die schöne Normande aufs innigste mit dem Manne vertraut war, den sie am liebsten erwürgt hätte. Eines Tages schloß sie Murx zu Hause ein, damit er nicht zum Aufseher gehe; aber er weinte dermaßen, daß sie ihm am nächsten Tag seine Freiheit wiedergab. Bei all ihrer Vierschrötigkeit und ihrer dreisten Miene war sie doch schwach. Wenn ihr der Junge erzählte, er habe es schön warm gehabt, wenn er mit trockenen Kleidern nach Hause kam, empfand sie eine unbestimmte Dankbarkeit, eine Zufriedenheit, ihn geborgen zu wissen mit den Füßen vor dem Feuer. Später wurde sie sehr gerührt, als er ihr aus einer schmutzigen Zeitung, in die ein Stück Aal eingewickelt war, etwas vorlas. Allmählich kam sie dahin, zu denken, wenn auch nicht es auszusprechen, daß Florent vielleicht gar kein boshafter Mensch sei. Vor seiner Bildung bekam sie Achtung, in die sich eine zunehmende Neugier mischte, ihn näher zu sehen und in sein Leben einzudringen. Dann verschaffte sie sich unvermittelt einen Vorwand; sie redete sich ein, daß sie an ihrer Rache festhalte: sie müßte nett zu dem Vetter sein und ihn mit der dicken Lisa auseinanderbringen; das würde das Schrulligste sein.
»Spricht denn dein guter Freund Florent auch zu dir über mich?« fragte sie eines Morgens Murx, als sie ihn anzog.
»Ach nein«, antwortete das Kind. »Wir unterhalten uns.«
»Schön, dann sag ihm, daß ich ihm nicht mehr böse bin und mich bei ihm bedanke, daß er dir Lesen beibringt.«
Von nun an hatte der Junge jeden Tag etwas auszurichten. Er ging von seiner Mutter zum Aufseher und vom Aufseher zu seiner Mutter, mit freundlichen Worten beauftragt, Fragen und Antworten, die er hersagte, ohne sie zu verstehen. Die ungeheuerlichsten Dinge hätte man ihn bestellen lassen können. Die schöne Normande jedoch bekam Angst, schüchtern zu wirken; so kam sie eines Tages selber und setzte sich auf den zweiten Stuhl, während Murx seinen Schreibunterricht nahm. Sie war sehr sanft, sehr zuvorkommend; Florent war verlegener als sie. Sie sprachen nur über den Jungen. Als Florent die Befürchtung ausdrückte, den Unterricht in seinem Bureau nicht fortsetzen zu können, bot sie ihm an, am Abend zu ihnen zu kommen. Dann sprach sie von Geld. Er errötete und erklärte, daß er nicht kommen würde, wenn davon die Rede sei. So nahm sie sich vor, ihn mit Geschenken, mit schönen Fischen, zu bezahlen.
Der Friede war geschlossen. Die schöne Normande nahm Florent sogar unter ihren Schutz. Übrigens wurde der Aufseher schließlich hingenommen; die Fischweiber fanden, er sei trotz seiner bösen Augen ein besserer Mann als Herr Verlaque. Nur Mutter Méhudin zuckte die Achseln, sie bewahrte ihren Groll gegen den »langen Dürren«, wie sie ihn verächtlich nannte. Und als Florent eines Morgens mit einem Lächeln vor Claires Fischbecken stehenblieb, ließ sie einen Aal los, den sie in der Hand hielt, und ganz aufgeblasen und puterrot drehte sie ihm wütend den Rücken zu. Er war davon derart überrascht, daß er mit der schönen Normande darüber sprach.
»Lassen Sie sie doch!« meinte die. »Die hat einen Vogel … Sie ist niemals derselben Ansicht wie die andern. Um mich hochzubringen, hat sie das gemacht.«
Sie triumphierte, brüstete sich in ihrem Stand, koketter denn je, mit äußerst verwickelten Frisuren. Als sie Lisa begegnete, gab sie ihr ihren verächtlichen Blick zurück und lachte ihr sogar mitten ins Gesicht. Die Gewißheit, die Fleischersfrau zur Verzweiflung zu bringen, indem sie den Vetter an sich zog, verlieh ihr ein schönes klangvolles Lachen, ein kehliges Lachen, dessen Schauer auf ihrem üppigen und weißen Hals zu sehen war. In diesem Augenblick kam sie auf den Einfall, Murx sehr hübsch anzuziehen mit einem Schottenjäckchen und einem Samtbarett. Bisher war Murx immer nur im zerlumpten Kittel herumgelaufen. Nun geschah es aber gerade zu dieser Zeit, daß Murx wieder von einer großen Vorliebe für die
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