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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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gesprochen wurde. Sie lehnte sich gegen die Wand, trank in kleinen Schlucken ihren Grog und sah die Redenden mit Stirnrunzeln und Blähen der Nasenflügel an, was entweder stumme Zustimmung oder Mißbilligung bedeutete und bewies, daß sie alles verstand und sehr feststehende Vorstellungen über die verwickeltsten Themen hatte. Manchmal drehte sie sich eine Zigarette, blies Strahlen dünnen Rauches aus dem Mundwinkel und wurde noch aufmerksamer. Es schien, als werde die Debatte vor ihr geführt und als stehe ihr zum Schluß die Preisverteilung zu. Sicher glaubte sie, ihre Stellung als Frau zu wahren, indem sie mit ihrer Meinung zurückhielt und sich nicht ereiferte wie die Männer. Nur wenn die Diskussionen auf dem Höhepunkt angelangt waren, warf sie einen Satz ein, zog mit einem Wort die Schlußfolgerung und »trumpfte sogar Charvet derb ab«, wie sich Gavard ausdrückte. Im Grunde hielt sie sich für viel tüchtiger als diese Herren. Sie hatte nur vor Robine Achtung, von dessen Schweigen sie ihre großen schwarzen Augen nicht abwandte.
    Florent beachtete Clémence nicht mehr als die anderen Männer. Für sie alle war sie ein Mann. Sie schüttelten ihr die Hand, als wollten sie ihr den Arm ausrenken. Eines Abends wohnte Florent einer ihrer berühmten Abrechnungen bei. Da die junge Frau an diesem Tage ihr Geld erhalten hatte, wollte sich Charvet zehn Francs von ihr leihen. Aber sie sagte nein, sie müsse erst wissen, woran sie seien. Sie lebten auf der Grundlage einer freien Ehe und freier Vermögensverfügung; jeder von ihnen bestritt genau seine Ausgaben. So sagten sie, schuldeten sie einander nichts, und sie seien keine Sklaven. Miete, Essen, Wäsche, kleine Vergnügungen – alles war niedergeschrieben, gebucht und aufgerechnet. An diesem Abend bewies Clémence Charvet nach eingehender Prüfung, daß er ihr schon fünf Francs schuldete. Sie händigte ihm die zehn Francs aus und sagte: »Merke dir, daß du mir nun fünfzehn schuldest … Du mußt sie mir am Fünften zurückgeben, wenn du deine Stunden bei dem kleinen Léhudier bezahlt bekommst.«
    Wenn Rose zum Zahlen hereingerufen wurde, zog ein jeder die paar Sous, die seine Zeche ausmachten, aus der Tasche. Charvet bezeichnete Clémence lachend als Aristokratin, weil sie Grog trank. Er meinte, sie wolle ihn demütigen, ihn fühlen lassen, daß er weniger verdiene als sie, was ja auch stimmte; und hinter seinem Lachen lag ein Protest gegen ihren höheren Verdienst, der ihn trotz seiner Theorie von der Gleichberechtigung der Geschlechter herabsetzte.
    Wenn die Diskussionen auch kaum zu etwas führten, so hielten sie diese Herren doch in Atem. Aus dem kleinen Gelaß drang ein schrecklicher Lärm. Die Mattglasscheiben zitterten wir Trommelfelle. Manchmal wurde der Lärm so stark, daß Rose, die irgendeinem Mann im Kittel einen Schoppen Wein eingoß, bei all ihrem Gleichmut beunruhigt den Kopf wandte.
    »Na, ich danke schön«, sagte der Mann im Kittel, als er das leere Glas wieder auf die Theke stellte und sich mit dem Handrücken den Mund abwischte, »die kloppen sich ja dadrin.« »Keine Gefahr«, erwiderte gelassen Herr Lebigre. »Die Herren unterhalten sich nur.«
    Herr Lebigre, der zu den anderen Gästen sehr streng war, ließ sie nach Herzenslust schreien, ohne jemals auch nur die geringste Beanstandung zu machen. Stundenlang blieb er in seiner Ärmelweste, den dicken Kopf schläfrig gegen die Spiegelwand gelehnt, auf dem Bänkchen hinter dem Schanktisch sitzen und folgte Rose mit dem Blick, die Flaschen entkorkte oder mit dem Lappen wischte. Wenn sie an Tagen, da er guter Laune war, vor ihm stand und mit nacktem Unterarm die Gläser ins Spülbecken tauchte, kniff er sie, ohne daß es jemand sehen konnte, kräftig ins dicke Bein, was sie mit einem wohlgefälligen Lächeln hinnahm. Nicht einmal durch ein Zusammenzucken verriet sie diese Vertraulichkeit; und wenn er sie bis aufs Blut kniff, sagte sie nur, sie sei nicht kitzlig. Aber in dem Weingeruch und dem Rieseln des heißen Lichts, das ihn einschläferte, horchte er auf den Lärm in dem kleinen Gelaß. Wenn die Stimmen anschwollen, stand er auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand oder er stieß sogar die Tür auf, trat ein, setzte sich einen Augenblick und gab Gavard einen Klaps auf die Schenkel. Zu allem nickte er zustimmend. Der Geflügelhändler sagte, daß man, auch wenn dieser Teufelskerl Lebigre zwar kaum das Zeug zum Redner habe, am »Tage, da der Spektakel losgeht«, auf ihn zählen

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