Der Bauch von Paris - 3
könne.
Aber eines Morgens hörte Florent in den Markthallen bei einem fürchterlichen Streit, der zwischen einer Fischhändlerin und Rose wegen eines Deckelkorbs mit Heringen ausgebrochen war, den diese, ohne es zu wollen, mit dem Ellbogen heruntergerissen hatte, wie sie »Spitzelzuträgerin« und »Wischlappen der Präfektur« beschimpft wurde. Nachdem er den Frieden wiederhergestellt hatte, erzählte man ihm alles mögliche über Herrn Lebigre: er stehe mit der Polizei in Verbindung, wie das ganze Viertel wisse. Fräulein Saget sagte, sie habe ihn einmal, bevor sie bei ihm kaufte, getroffen, als er zur Berichterstattung ging. Außerdem sei er ein Geldverleiher, ein Wucherer, der den fliegenden Händlern tageweise Geld vorschieße und Wagen vermiete und dafür unerhörte Zinsen verlange. Florent war sehr erregt darüber. Am selben Abend hielt er es für seine Pflicht, diese Dinge den Herren mit gedämpfter Stimme wiederzuerzählen. Aber sie zuckten nur die Achseln und lachten tüchtig über seine Besorgnis.
»Der arme Florent«, sagte Charvet boshaft, »weil er in Cayenne war, bildet er sich ein, daß ihm die ganze Polizei auf den Fersen ist.«
Gavard gab sein Ehrenwort, daß Lebigre »gut und einwandfrei sei«. Aber vor allem Logre wurde fuchsteufelswild. Sein Stuhl krachte. Er schimpfte drauflos und erklärte, daß es so nicht weitergehen könne, daß er, wenn alle Welt beschuldigt werde, mit der Polizei in Verbindung zu stehen, lieber zu Hause bleibe und sich überhaupt nicht mehr mit Politik beschäftige. Habe man nicht zu behaupten gewagt, daß er, Logre, er, der 1848 und 1851 gekämpft habe, der zweimal beinahe deportiert worden wäre, auch »dazugehöre«! Und während er das hinausschrie, sah er die anderen an und schob den Unterkiefer vor, als wolle er ihnen mit Gewalt und trotz allem die Überzeugung einhämmern, daß er nicht »dazugehöre«. Unter seinen wütenden Blicken erhoben die anderen mit lebhaften Gebärden Einspruch. Lacaille indessen hatte den Kopf sinken lassen, als er hörte, daß Herr Lebigre als Wucherer beschimpft wurde.
Die Diskussionen ließen diesen Zwischenfall untergehen. Seitdem Logre den Gedanken einer Verschwörung aufgeworfen hatte, schüttelte Lebigre den Stammgästen des kleinen Gelasses noch viel kräftiger die Hand. In Wirklichkeit warf diese Kundschaft nur einen sehr mageren Verdienst ab; niemals machte einer von ihnen noch eine zweite Bestellung. War die Stunde des Aufbruchs gekommen, tranken sie den letzten Tropfen aus ihrem Glas, den sie sich während ihrer hitzigen Erörterungen von politischen und sozialen Theorien vorsichtigerweise aufgehoben hatten. Beim Aufbruch fröstelten sie alle in der kalten Feuchtigkeit der Nacht. Mit brennenden Augen und sausenden Ohren blieben sie, wie überrascht von der schwarzen Stille der Straße, einen Augenblick auf dem Bürgersteig stehen. Hinter ihnen legte Rose die Bolzen der Fensterläden vor. Wenn sie sich dann, ausgepumpt, ohne noch ein Wort zu finden, die Hände gedrückt hatten, trennten sie sich, immer noch Argumente auf der Zunge, mit dem Bedauern, einander nicht ihre Überzeugungen in die Kehle stopfen zu können. Der runde Rücken Robines wogte undeutlich, verschwand in Richtung der Rue Rambuteau, während Charvet und Clémence Seite an Seite durch die Markthallen bis zum Jardin du Luxembourg gingen, militärisch ihre Absätze dröhnen ließen und noch irgendeine politische oder philosophische Frage erörterten, ohne sich jemals den Arm zu reichen.
Das Komplott reifte langsam heran. Zu Beginn des Sommers war immer noch bloß die Rede von der Notwendigkeit, »einen Putsch zu versuchen«. Florent, der in der ersten Zeit ein gewisses Mißtrauen empfunden hatte, glaubte schließlich an die Möglichkeit einer revolutionären Bewegung. Er beschäftigte sich sehr ernsthaft damit, machte Aufzeichnungen und entwarf schriftliche Pläne. Die anderen redeten nur immer. Er drängte allmählich sein Leben in der fixen Idee, mit der er sich jeden Abend den Schädel zermarterte, bis zu einem solchen Grade zusammen, daß er schließlich seinen Bruder Quenu zu Herrn Lebigre mitbrachte, ohne natürlich an Böses dabei zu denken. Er behandelte ihn immer noch ein wenig als seinen Schüler. Er mußte wohl vielleicht sogar glauben, er habe die Pflicht, ihn auf den richtigen Weg zu bringen. Quenu war in der Politik ein völliger Neuling. Aber nach fünf oder sechs Abenden befand er sich in Übereinstimmung mit den anderen. Er legte eine große
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