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Der Bauch von Paris - 3

Der Bauch von Paris - 3

Titel: Der Bauch von Paris - 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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machen, und mit wütendem Vorwurf den vergoldeten leuchtenden Gutenberg, der den Finger auf ein Buch hielt, ansah. Von Lisa, die ihren Kopf ins Kissen vergraben hatte, sah er nur den Rücken; aber er fühlte deutlich, daß sie nicht schlief, daß ihre Augen weit geöffnet auf die Wand gerichtet sein mußten. Dieser mächtige, an den Schultern sehr üppige Rücken war blaß von verhaltenem Zorn; er quoll auf und wahrte die Reglosigkeit und das Gewicht einer unwiderleglichen stummen Anklage. Von der übermäßigen Strenge dieses Rückens, der ihn mit dem undurchdringlichen Gesicht eines Richters musterte, völlig aus der Fassung gebracht, schlüpfte Quenu unter die Decken, blies die Kerze aus und verhielt sich artig. Er war auf der Bettkante liegengeblieben, um seine Frau überhaupt nicht zu berühren. Er hätte darauf schwören mögen, daß sie noch immer nicht schlief. Dann überließ er sich selbst dem Schlummer, war verzweifelt, daß sie nichts sagte, traute sich nicht, ihr eine gute Nacht zu wünschen, und sah sich machtlos vor dieser unversöhnlichen Masse, die das Bett gegen Reueerklärungen verbarrikadierte.
    Am andern Morgen schlief er lange. Als er aufwachte, die Daunendecke am Kinn, in die Mitte des Bettes gesielt, sah er Lisa vor dem Schreibsekretär sitzen und Papiere ordnen; sie war aufgestanden, ohne daß er es in seinem tiefen Schlaf nach dem Überdie SträngeSchlagen am Abend vorher gemerkt hätte. Er faßte Mut und redete sie aus der Tiefe des Alkovens heraus an:
    »Nanu? Warum hast du mich nicht geweckt? – Was machst du denn da?«
    »Ich räume die Schubfächer auf«, gab sie sehr ruhig in ihrem gewöhnlichen Tonfall zur Antwort.
    Er fühlte sich erleichtert.
    Aber sie fügte hinzu:
    »Man weiß nicht, was eintreten kann. Wenn die Polizei käme …«
    »Wieso die Polizei?«
    »Allerdings, wo du dich jetzt mit Politik befaßt.«
    Quenu setzte sich auf, er war außer sich, wie vor den Kopf geschlagen von diesem heftigen und unerwarteten Angriff.
    »Ich befasse mich mit Politik, ich befasse mich mit Politik«, sagte er ein paarmal. »Die Polizei hat dadrin nichts zu suchen, ich setze mich keinen Unannehmlichkeiten aus.«
    »Nein«, fuhr Lisa fort und zuckte die Achseln, »du sprichst bloß davon, alle Welt an die Wand zu stellen.«
    »Ich! Ich!«
    »Und das schreist du in einer Kneipe aus … Mademoiselle Saget hat dich gehört. Das ganze Viertel weiß zu dieser Stunde, daß du ein Roter bist.«
    Er legte sich unvermittelt wieder hin. Er war noch nicht ganz wach. Lisas Worte hallten, als habe er schon die schweren Stiefel der Gendarmen vor der Zimmertür gehört. Er sah sie an, die frisiert, in ihr Korsett geschnürt und wie üblich gekleidet war, und es machte ihn noch bestürzter, sie in solch dramatischen Umständen so untadelig zu finden.
    »Du weißt, daß ich dir völlige Freiheit lasse«, begann sie nach einer Pause von neuem und ordnete weiter die Papiere ein. »Ich will nicht die Hosen anhaben, wie es heißt … Du bist der Herr im Hause, du kannst deine Stellung aufs Spiel setzen, unsern Kredit gefährden, das Geschäft zugrunde richten … Ich werde dann nur die Interessen Paulines zu wahren haben.«
    Er erhob Einspruch, aber sie brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen und fügte hinzu:
    »Nein, sage nichts, ich will keinen Streit herbeiführen, nicht einmal eine Aussprache … Ja, wenn du mich um Rat gefragt hättest, wenn wir uns darüber unterhalten hätten, würde ich nichts sagen! Es ist unrecht, zu glauben, Frauen verstünden nichts von Politik … Willst du, daß ich dir meine Auffassung von Politik sage, meine?« Sie war aufgestanden, sie ging vom Bett ans Fenster und wischte mit dem Finger die Staubkörnchen weg, die sie auf dem glänzenden Mahagoni des Spiegelschranks und des Waschtischs bemerkte. »Es ist die Auffassung ehrbarer Leute von Politik … Ich bin der Regierung dankbar, wenn mein Geschäft gut geht, wenn ich in Ruhe meine Suppe essen und wenn ich schlafen kann, ohne von Flintenschüssen geweckt zu werden … Das war was Rechtes achtundvierzig, nicht wahr? Onkel Gradelle, ein biederer Mann, hat uns seine Bücher von damals gezeigt. Über sechstausend Francs hat er eingebüßt … Jetzt, wo wir das Kaiserreich haben, geht alles, alles wird verkauft. Du kannst nicht das Gegenteil behaupten … Was wollt ihr also? Was werdet ihr mehr haben, wenn ihr alle Welt an die Wand gestellt habt?« Sie pflanzte sich mit verschränkten Armen vor dem Nachttisch Quenu

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