Der Baum des Lebens
erreichen können.«
»Wer war denn der Besitzer des Schiffes?«
Der Alte wirkte erstaunt. »Was für eine Frage, natürlich der Pharao! Was glaubst denn du, wem so ein Schiff gehört?«
»Schildkröten-Auge und Messerklinge – habt Ihr diese Namen schon einmal gehört?«
»Denen bin ich nie begegnet. Sie können weder in Kahun noch hier in der Gegend leben. Aber jetzt möchte ich doch mal wissen, wozu du das alles fragst, mein Junge?«
»Ich habe die Seeleute von der Gefährte des Windes gekannt und würde gern wissen, was aus ihnen geworden ist.«
»Da musst du nur in den Archiven suchen. Eine Sache fällt mir noch ein: Meinen letzten Auftrag habe ich nicht auf der Werft, sondern hier zu Hause gemacht. Es handelte sich um eine ebenso schöne wie robuste Truhe aus Akazienholz. Der Käufer hatte sehr genaue Angaben gemacht, an die ich mich so gut es ging hielt. Ein derart hochwertiges Stück konnte eigentlich nur für einen Tempel gedacht sein! Als es der Mann dann abgeholt hat, erklärte er mir aber, dass er diesen Koffer für eine lange Reise bräuchte. Da habe ich natürlich an die Gefährte des Windes gedacht, aber da muss ich mich wohl getäuscht haben.«
»Wer war dieser Mann?«
»Ein Durchreisender. Nachdem er im Voraus und noch dazu sehr gut bezahlt hat, habe ich mich nicht weiter über ihn erkundigt.«
»Würdet Ihr ihn wiedererkennen?«
»Nein, bestimmt nicht, meine Sehkraft wird von Tag zu Tag schlechter. Ich glaube, er war ziemlich groß.«
»Es wäre besser, wenn Ihr mit keinem über unsere Unterhaltung sprecht«, meinte Iker.
»Warum denn das?«
»Nehmen wir mal an, die Gefährte des Windes war in eine Geschichte verwickelt…«
»Ich will überhaupt nichts annehmen, und ich will auch nichts mehr hören! Ich habe mir gleich gedacht, dass deine Fragen nicht so unschuldig sind, wie sie klingen. Ich bin sehr alt und will in Frieden sterben. Verlass mein Haus und komm ja nicht wieder. Diese Tür ist in Zukunft für dich verschlossen.«
Iker bedrängte den alten Schreiner nicht länger, nahm sich aber fest vor, ihn später noch einmal zu befragen. Es gab noch so viel, was er von ihm wissen wollte.
Der Spitzel des Libanesen war Iker gefolgt, um herauszufinden, ob er Verbindung zu einem alten, allzu geschwätzigen Handwerker aufgenommen hatte. Eigentlich bestand keine Gefahr, wer hätte den jungen Schreiber schon auf diese Spur bringen sollen? Aber davon musste er sich selbst überzeugen: Iker hatte Hobel mit Sicherheit nicht nur einen Höflichkeitsbesuch abgestattet! Auch wenn das Ganze äußerst unwahrscheinlich war, hatte man doch auch diese Möglichkeit eingeplant.
Der Spitzel des Libanesen wusste also, was er zu tun hatte.
56
»Auf dem Nil ist kein Schiff zu sehen«, stellte General Nesmontu ungläubig fest.
Als sich Sesostris’ Schiffsverband Kusae näherte, der Hauptstadt der vierzehnten Provinz Oberägyptens, rechneten sie mit einem feindseligen Empfang. Aber die Kriegsschiffe Uakhas, des Fürsten dieser Provinz, waren im Hafen geblieben, und der Pharao konnte ohne den geringsten Widerstand anlegen.
»Das ist mit Sicherheit eine Falle«, meinte Sehotep. »Schickt mich als Aufklärer vor, Majestät.«
Im Hafen war kein einziger Soldat zu sehen. Alles wirkte wie verlassen.
»Der Vorschlag des Siegelträgers ist ausgezeichnet«, lobte Sobek der Beschützer. »Ich werde ihn begleiten.«
»Wer, glaubt ihr, hat Achtung vor einem feigen König? Folgt mir.«
Sesostris ging voraus. Sobek behielt ständig die Umgebung im Auge und versuchte herauszufinden, woher der Angriff kommen würde.
Bis sie in die Stadt kamen, tat sich rein gar nichts. Und in den Straßen war keine Menschenseele zu sehen. Alle Türen und Fensterläden waren verschlossen.
»Was ist denn in dieser Stadt Schreckliches geschehen?«, fragte Sehotep angsterfüllt.
Schließlich entdeckte der König die ersten Einwohner.
Erschöpft hockten sie herum, den Kopf auf die Knie gestützt, und sahen so aus, als wären sie vollkommen verzweifelt und zu nichts in der Lage.
Als sie sich dem Palast näherten, sahen sie, dass der Boden mit Waffen übersät war. Die Soldaten hatten Pfeil und Bogen, Lanzen und Schwerter weggeworfen.
Vor dem Haupteingang zum Palast saß ein müder Offizier.
»Was ist hier los?«, fragte Sobek.
Der Offizier sah ihn mit vom Weinen geröteten Augen an.
»Unser Fürst ist gerade gestorben.«
»Hat es einen Aufstand gegen ihn gegeben?«
»Nein, nicht doch! Wer hätte es gewagt, sich
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