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Der Baum des Lebens

Der Baum des Lebens

Titel: Der Baum des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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Osiris nicht mahlen.«
    »Das Mysterium muss zu Ende geführt werden«, beharrte der Flötenspieler.
    Und die Esel gingen im Kreis, immer wieder und genauso aufmerksam wie die Menschen, die die Szene beobachteten.
    Iker verstand zwar nicht genau, was das alles zu bedeuten hatte, spürte aber, dass er einem entscheidenden Vorgang beiwohnte. Er hätte hundert Fragen gehabt, wahrte aber das Schweigen.
    »Die Körner sollen gereinigt werden«, verlangte nun der Flötenspieler.
    Die beiden anderen Ritualisten führten die Esel von der Dreschtenne weg, und dann nahmen die Getreide-Sieberinnen ihre Arbeit auf. Anschließend füllten sie die Säcke und luden sie auf die Esel.
    »Die Anhänger des Seth sollen Osiris in den Himmel führen, von wo aus er seine Wohltaten über diese Erde verteilen möge«, befahl der Flötenspieler.
    Es bildete sich eine Prozession, die sich auf den Weg zu den Getreidespeichern machte.
    »Die Anführer sollen den Eseln ihre Last abnehmen, damit ganz oben auf die Getreidespeicher steigen und den Inhalt der Säcke ausleeren.«
    So wird der Kornspeicher zum Himmel, in dem der Geist von Osiris in jedem einzelnen Getreidekorn enthalten ist, dachte sich Iker.
    Noch ganz unter dem Eindruck dieses außergewöhnlichen Rituals ging Iker langsam und Schritt für Schritt die Treppe hinunter, um sich jede Sekunde dieses Erlebnisses genau einzuprägen. Das Gefühl seiner nackten Füße auf den Kalksteinstufen steigerte noch das intensive Erleben dieser Zeremonie, die ihm eine neue Sicht der Wirklichkeit bot.
    Der Flötenspieler, die beiden anderen Ritualisten, die Anführer und die sieben Getreide-Sieberinnen hatten sich vor einem Riesen mit tief liegenden Augen, halb geschlossenen Lidern und knochigen Wangen zu Boden geworfen. Sein Blick war so durchdringend, dass Iker erstarrte. Dieser strenge Mann mit seiner kleinen, geraden Nase, dem schön geschwungenen Mund und dem breiten Oberkörper hatte große Ohren, denen auch nicht das kleinste Geräusch auf dieser Welt zu entgehen schien.
    Er trug ein Leinenhemd, dessen einziger Träger über die linke Schulter ging, und einen rechteckigen Schurz, auf dem ein Greif abgebildet war, der die Feinde Ägyptens vernichtete.
    Energisch bedeutete der Flötenspieler Iker, sich ebenfalls auf den Boden zu werfen.
    »Erweise dem Pharao die Ehre, ihm, der uns das Leben schenkt.«

 
13
     
     
     
    Sesostris hob das Getreideopfer, das den Göttern zustand, gen Himmel. Dann schritt er die Treppe hinauf zum Dach des höchsten Getreidespeichers und entzündete mit einem glühenden Holzscheit Weihrauch in einem Kohlebecken.
    Während er dieses Ritual ausführte, musste der König die ganze Zeit daran denken, wie ihn dieser junge Mann angesehen hatte. So einem Blick war er noch nie begegnet.
    Iker blieb äußerst aufmerksam und hörte dem Pharao zu.
    »Osiris stirbt und wird wiedergeboren, er opfert sich, um sein Volk zu ernähren. Als Vater und Mutter der Menschen bringt er die Körner mit jener geheimen Kraft hervor, die er besitzt und verschenkt, damit die Lebewesen existieren können. Alles lebt von seinem Atem und seinem Fleisch, von ihm, der von der Insel der Flamme kam, um die Gestalt von Getreide anzunehmen. Wir essen den Leib von Osiris, dank dieses pflanzlichen Goldes werden wir fortdauern.«
    Kleine Blume überreichte dem König eine Strohpuppe. Dieses Symbol der Vermählung mit dem Getreide wurde bis zur nächsten Ernte an jedem Haus angebracht.
    Darauf brachte der Flötenspieler einen schönen großen Korb, der aus biegsamem Rohr geflochten und gelb, blau und rot bemalt war. Den Boden verstärkten zwei über Kreuz angebrachte Holzleisten.
    »Hier ist der Korb der Mysterien, Majestät. Was zerstreut war, wurde darin wieder gesammelt.«
    »Er soll zurück in den Tempel«, befahl Sesostris.
    Da erschien auf einmal der Großbauer. Er war sehr erregt und warf sich vor dem Pharao zu Boden.
    »Herr, meine schönste Kuh beginnt eben zu kalben! Wieder einmal geschieht das Wunder!«
    Alle Teilnehmer an der Zeremonie begaben sich zum Stall.
    Der Flötenspieler murmelte einige Zaubersprüche, die die Geburt erleichtern sollten, während die Kuh dem Kuhhirten, der dem Tier beistand, die Hand leckte.
    Im Kampf gegen die Schmerzen reckte die Kuh den Kopf und knickte mit dem Hinterteil ein. Der Kuhhirte strich ihr über die Flanken, um sie zu beruhigen.
    »Das Wort findet sich bei den Stieren«, erinnerte der Pharao, »doch die Kühe besitzen die wissende Eingebung. Sie sollen mit

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