Der Bedrohung so nah (German Edition)
Straße zur Logan Falls Elementary School. Sie war bereit, sich durch die vor ihr liegende Aufgabe zu quälen, auch wenn sie absolut keine Lust dazu verspürte.
Sollte Nick doch seine kleinliche Genugtuung haben. Sie entrollte die Fahne und betrachtete die blinkenden Warnlichter der Schulzonen-Schilder. Wenigstens hatte er ihre Kündigung zurückgenommen, wofür sie ihm sehr dankbar war. Sie musste ihre Karriere ohnehin wieder von null aufbauen. Sie hatte vor, die Zeit in Logan Falls zu nutzen, um mit ihren Problemen ins Reine kommen. Und wenn alles lief wie geplant, war sie in ein paar Monaten bereit, wieder in eine größere Stadt zu ziehen. Vielleicht sogar zurück nach Chicago – vorausgesetzt, Frank würde sie zurücknehmen.
Ein Schulbus fuhr vorbei. Erin zwang sich zu einem Lächeln und winkte, während sie ihren Platz auf dem Zebrastreifen einnahm. Eine leichte Brise raschelte durch die Blätter der Ahornbäume und Ulmen entlang der Commerce Street. In der Ferne dröhnte ein Rasenmäher. Sie atmete den Geruch von frisch geschnittenem Gras ein, und ein Gefühl der Zufriedenheit überkam sie. In Logan Falls setzte langsam die Hauptverkehrszeit ein, wenn man es denn so nennen konnte. In Bademäntel gehüllte Mütter ließen ihre Kinder an der Bordsteinkante raus. Die älteren Kinder sammelten sich auf dem Fußweg, wo Erin stand. Die leisen Stimmen und das Gelächter klangen in Erins Ohren so fremd wie eine andere Sprache.
Nachdem sie neun Jahre in einem der gefährlichsten Stadteile Chicagos im Einsatz gewesen war, hätte es sie eigentlich zu Tode langweilen müssen, den Verkehr vor einer Schule zu regeln. Doch komischerweise fand sie Gefallen an der Einfachheit ihrer Aufgabe und der heilen Kleinstadtwelt. Es machte ihr Spaß, das friedvolle Leben einer Kleinstadt aus erster Hand zu erleben und zu beobachten, wie sich Mütter mit liebevollen Umarmungen von ihren Kinder verabschiedeten.
All die Jahre war ihr Leben von Action und Gefahr geprägt gewesen, und sie hatte erwartet, dass ihr die Aufregung fehlen würde. Doch zu ihrer eigenen Überraschung verspürte sie tatsächlich das Bedürfnis, den Einwohnern dieser Stadt zu dienen und sie zu beschützen, so wie ihr Diensteid es von ihr verlangte. Sie fühlte sich in der Zeit zurückversetzt, an einen Ort, der rein und gut war, einen Ort, an dem die Menschen das Gesetz achteten, weil sie davon überzeugt waren.
In der ersten Stunde ihrer Schicht hatte Erin sich mit der Direktorin Mrs Helmsley über die neue Tribüne unterhalten, die an der Nordseite des Sportplatzes gebaut werden sollte. Sie hatte einer Viertklässlerin dabei geholfen, ein verloren geglaubtes Schulheft wiederzufinden. Und als ein Erstklässler ohne Schneidezähne sie gefragt hatte, ob sie einen völlig überteuerten Schokoriegel kaufen wollte, hatte sie ihre guten Vorsätze in den Wind geschlagen und sogar gleich zwei gekauft.
Sie dachte darüber nach, wie groß der Unterschied zu Chicago war, wo so viele Kinder in Armut lebten und ihren Verstand und ihre Körper mit Crack, Heroin oder anderen Drogen vergifteten – je nachdem, womit sie zuerst die unglückselige Bekanntschaft machten. Während Erin auf dem Zebrastreifen stand und die Kleinstadtidylle, die sich wie eine Szene aus einem Hollywoodfilm vor ihr entfaltete, auf sich wirken ließ, fragte sie sich, ob Nick eigentlich wusste, wie glücklich er sich schätzen konnte.
Es war nicht das erste Mal, dass sie an diesem Morgen an ihren mürrischen Chef dachte. Um ehrlich zu sein, hatte sie in den letzten Tagen ziemlich oft an ihn gedacht. Bestimmt lag es daran, dass sie sich noch immer über ihn ärgerte. Nicht nur darüber, wie er sich beim Überfall auf den Brass Rail Saloon verhalten hatte, sondern auch, weil er sie dazu eingeteilt hatte, für die Verkehrssicherheit vor der Schule zu sorgen.
Doch sie konnte nicht leugnen, dass es noch einen anderen Grund gab, warum er sie so beschäftigte. Auch wenn sie es nur äußerst ungern zugab, hatte ihre Reaktion auf ihn sogar äußerst wenig mit ihrer Arbeit bei der Polizei zu tun. Nein, es war vor allem eines: körperliche Anziehungskraft.
Dabei machte Erin sich normalerweise nicht viel aus Sex. Sie hatte ihr ganzes Berufsleben in einer Männerdomäne gearbeitet und sich daran gewöhnt. Über die Jahre hatte sie unzählige männliche Freunde dabei gewonnen. Was die hormongesteuerten Probleme anging, die daraus resultieren konnten, hatte sie sich eigentlich immer für immun gehalten –
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