Der Bedrohung so nah (German Edition)
jedenfalls bis jetzt.
Erin versuchte, ihre Gefühle zu analysieren – das Herzklopfen, die feuchten Hände, das nervöse Flattern im Bauch. Am liebsten hätte sie die Symptome auf die Tatsache geschoben, dass er es darauf angelegt hatte, ihr das Leben schwer zu machen. Aber wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass das nicht stimmte. Nick war ein attraktiver Mann. Das war auch ihrem Körper nicht verborgen geblieben. Doch das durfte weder jetzt noch in Zukunft eine Rolle spielen. Schließlich hatte er bereits unter Beweis gestellt, dass er ein Problem damit hatte, dass sie als Frau einen gefährlichen Beruf ausübte. Und was das anging, brauchte sie weder seine Anerkennung noch seine Zustimmung, noch sonst irgendetwas.
Trotzdem ließ sich nicht bestreiten, dass Nick Ryan mit seinen kaffeebraunen Augen, der grüblerischen Art und dem entschlossenen Zug um den Mund ziemlich gut aussah. Er brachte sie durcheinander. Er machte sie wütend. Und er übte eine Anziehungskraft auf sie aus wie schon seit Jahren kein Mann mehr. Doch noch beunruhigender war die Tatsache, dass sie sich nicht nur auf körperlicher Ebene von ihm angezogen fühlte. Die Emotionen, die für einen winzigen Augenblick in seinen Augen aufgeblitzt waren, als er ihr erzählte hatte, dass er Witwer war. Der qualvolle Gesichtsausdruck, den er beim Anblick des Leids seiner Tochter hatte. Der harte Cop, der sich in Gegenwart eines traurigen kleinen Mädchens in einen einsamen Witwer verwandelte, der, so gut es ging, versuchte, mit einer schrecklichen Situation fertigzuwerden. All das hatte sie tief in ihrem Inneren berührt. Sie kannte die vielen Gesichter des Schmerzes, die Nick Ryan mit jeder seiner Bewegungen, mit jeder Geste ausstrahlte, aus erster Hand. Und egal, wie sehr sie sich dagegen sträubte, es berührte sie zutiefst. Wie sollte sie nur damit umgehen?
„Indem ich es ignoriere natürlich“, murmelte Erin in sich hinein, als sie ihre Fahne senkte, die Straße überquerte und zu einer Gruppe von Kindern ging. Als die Autos anhielten, gab sie den Kindern ein Zeichen. „Okay, Kinder, ihr könnt rübergehen. Viel Spaß in der Schule!“
Nur weil der Polizeichef umwerfend gut aussah und dazu auch eine menschliche Seite hatte, hieß das noch lange nicht, dass sie einem banalen Impuls folgen und dadurch ihren Job gefährden würde. Im Gegenteil. Erin hatte ihre Hormone im Griff. Das war schon immer so gewesen. Außerdem mochte Nick sie nicht einmal. Und sie hatten komplett unterschiedliche Auffassungen über Polizeiarbeit. Das sollte eigentlich reichen, um die Distanz zwischen ihnen lange genug aufrechtzuerhalten, bis sich ihre Faszination für ihn – wenn man es überhaupt so nennen konnte – von allein erledigt hatte.
Die Gruppe von Schülern überquerte hinter Erin die Straße. „Vergesst nicht, immer schön in beide Richtungen zu gucken, bevor ihr loslauft“, übertönte sie die lärmenden Kinderstimmen.
Als die Kinder auf der anderen Seite angekommen waren, ließ ein kleines Mädchen in einem pinkfarbenen Sweatshirt ein Blatt Papier fallen. „Mein Bild!“, rief sie, als der Wind es erfasste und über den Gehweg trieb.
Erin hatte keinen Grund zu Beunruhigung, da die Autos anhielten. Zum Glück schien es hier in Logan Falls keine aggressiven Fahrer zu geben. Sie hob ihre Fahne höher, um sich der Aufmerksamkeit der Fahrerin im ersten Auto zu vergewissern. Die junge Frau hinter dem Steuer verdrehte die Augen und lächelte.
Erin blickte über die Schulter zu dem kleinen Mädchen und sah, wie es hinter dem Blatt herrannte und es nach wenigen Metern wieder einfing. „Ich hab es!“, rief die Kleine.
Plötzlich erklang das tiefe Dröhnen eines Motors. Etwas weiter hinten scherte ein dunkler Wagen aus der Reihe der wartenden Fahrzeuge aus. Er hatte einen verchromten Kühlergrill, und die Sonne spiegelte sich in der abgedunkelten Windschutzscheibe. Dass ein ungeduldiger Fahrer unschuldige Kinder in Gefahr brachte, machte Erin wütend.
Verärgert schwenkte sie ihre Fahne und bedeutete dem Fahrer, an die Seite zu fahren. Doch der Wagen beschleunigte sogar noch.
„Was, zur Hölle …“ Erins Wut verwandelte sich augenblicklich in Ungläubigkeit, als ihr klar wurde, dass das Auto direkt auf sie zuhielt. Ihr einziger Gedanke galt dem kleinen Mädchen in dem pinkfarbenen Sweatshirt. Sie wirbelte herum, packte es am Arm und gab ihm einen Schubs. Der Motor heulte auf. Erin sprang. Ein Schrei ertönte – ihr eigener –, gefolgt
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