Der Bedrohung so nah (German Edition)
dass er verärgert war, weil sie nicht von Anfang an offen und ehrlich zu ihm gewesen war. Doch sie hatte keine Lust, jedes kleine Detail der Schießerei wieder ans Licht zu holen. Ihr Bedürfnis, die Geschehnisse jener Nacht endlich hinter sich zu lassen, war so groß, dass sie es kaum fertigbrachte, daran zu denken, geschweige denn darüber zu reden.
„Ich will die ganze Geschichte hören. Und zwar alles, ohne Auslassungen.“
Sie zuckte zusammen, als sie seinen entschlossenen Tonfall hörte. „Ich habe Ihnen doch bereits erzählt, was passiert ist.“
„Dabei haben Sie aber ein paar wesentliche Details ausgelassen, McNeal. Was ist mit dem Rest?“
„Es ist … kompliziert.“
„Ich hab die ganze Nacht Zeit.“
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Offenbar machte es ihr mehr aus, als sie gedacht hatte. Es war nicht nur beschämend, es würde auch unglaublich wehtun, die Verachtung in seinen Augen zu lesen, wenn er die Wahrheit erfuhr. Es war erstaunlich, wie wichtig ihr seine Meinung in so kurzer Zeit geworden war. Aber es ließ sich nicht leugnen. Schlagartig wurde ihr bewusst, wie hoch der Preis war, den sie bezahlen würde, wenn sie ihm erzählte, was tatsächlich vorgefallen war. Es würde sie seinen Respekt kosten. Und die zaghafte Freundschaft – oder was auch immer es war, das sich zwischen ihnen entwickelt hatte, seit sie durch die Tür der Polizeiwache gekommen war und in seine dunklen, gefährlichen Augen gesehen hatte. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag.
„Danny und ich haben einen anonymen Hinweis bekommen. Ein Drogendeal in einer Lagerhalle auf der South Side. Ein paar Kilo Black-Tar-Heroin und eine Geldübergabe. Reine Routine. Wir waren uns unserer Sache ziemlich sicher, zu sicher.“ Sie lachte hohl. „Wir sind ohne Verstärkung reingegangen. Und ohne die DEA zu benachrichtigen. Wir wollten den Erfolg mit niemandem teilen.“
Sie sah die Situation wieder vor sich. Die gespannte Erwartung. Das Hochgefühl. Und nur wenig später das verheerende Unheil, das über sie hereinbrach. „Danny ist zuerst rein. Zwei oder drei Minuten vor mir. Ich habe so lange wie möglich gewartet, dann habe ich über Funk Verstärkung angefordert und bin durch den Hintereingang hinterhergegangen. Wir hätten warten sollen. Wir hätten …“ Das Ausmaß ihrer Fehler legte sich wie Blei auf ihre Schultern und ließ sie verstummen. „Die Aktion stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Es ist alles Mögliche schiefgelaufen. Als ich dazukam, hatten die beiden Männer Danny schon am Boden. Sie waren sehr gut gekleidet und bis an die Zähne bewaffnet. Ruhig und gelassen.“ Ihre Stimme hörte sich in der Stille ihrer Wohnung fremd an. „Sie wollten ihn umbringen“, sagte sie. „Einfach so. Wie bei einer Hinrichtung. Er war ein Cop, verdammt.“
Bei der Erinnerung lief ihr ein Schauer über den Rücken. Erstaunt stellte sie fest, dass ihre Zähne klapperten. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es ihr so schwer fallen würde, die Geschehnisse jener Nacht wiederzugeben. Nicht nach all der Zeit. Doch sie musste all ihre Kraft zusammennehmen, um fortzufahren.
„Ich konnte nicht zulassen, dass sie meinen Partner umbringen.“ Sie sah Nick an. Es war absolut unmöglich zu erahnen, was hinter seiner kühlen, emotionslosen Fassade vor sich ging. Aber in Anbetracht dessen, was sie ihm gleich erzählen würde, wollte sie es lieber gar nicht wissen. „Ich war in Unterzahl. Aber ich wollte die Männer unbedingt verhaften. Die Risiken waren mir dabei völlig egal. Es ist mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass jemand verletzt werden könnte.“ Vor ihrem inneren Auge sah sie Danny vor sich. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Und sie erinnerte sich an ihr eigenes Entsetzen mit solcher Deutlichkeit, dass ihr Herz für einen Moment aussetzte. Ihr Atem wurde flach. Unwillkürlich hielt sie die Luft an. „Ich zog meinen Revolver und befahl den Männern, ihre Waffen fallen zu lassen und sich auf den Boden zu legen.“
Eindringlich sah Nick sie an. Seine Miene war ernst und konzentriert. „Was ist dann passiert?“
„Laut Dannys Informant hätten es nicht mehr als zwei Männer sein dürfen. In der Vergangenheit war er eine zuverlässige Quelle. Doch da war noch ein weiterer Mann. Auf dem Gerüst. Aber als ich ihn gesehen habe, war es bereits zu spät.“ Der Schrecken des Augenblicks überrollte sie wie eine Lawine. Kalt und erstickend. „Wie aus dem Nichts war er plötzlich über mir. Er war
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