Der Befreier der Halblinge: Roman (German Edition)
aus wie wuchernde Moosbüschel. Er schloss die Augen, denn noch aus so großer Ferne blendeten ihn die Blitze.
Unterhalb der Burg befand sich der Hafen, in dem die großen Transportschiffe festgemacht hatten, mit denen der Waldkönig seine Truppen über den Langen See nach Süden gebracht hatte, damit sie zusammen mit ihren Verbündeten dem Ansturm von Ghools Horden widerstanden. Aber dieser Ansturm schien kaum aufzuhalten zu sein. Zu groß war die Überlegenheit des Feindes. Selbst gefallene Orks hatte Ghool während der Schlacht um Gaa zeitweilig auferstehen und als seelenlose Wiedergänger weiterkämpfen lassen. Wie sollte man eine Macht besiegen, die zu solchen Dingen fähig war? Unsere Kräfte reichen nicht, dachte der Waldkönig nicht zum ersten Mal. Das Bündnis, das Lirandil gestiftet hat, war zu schwach. Und vor allem fehlen bis heute die entscheidenden Mächte. Diejenigen, die über genug Magie verfügen, um Ghool etwas entgegenzusetzen. Die Elben, die Magier von Thuvasien, die Dunkelalben von Albanoy … Sie tun das, was ich auch hätte tun sollen: abwarten und sich auf die Seite des Siegers schlagen. Aber dafür dürfte es in meinem Fall wohl zu spät sein.
Überall in Waldhaven strömten die Bewohner auf die Straßen und blickten über den Langen See zu den Blitzen in der Ferne. Die Kriegselefanten wurden unruhig. Die zusammengewürfelten, verbündeten Krieger aus Harabans Reich, dem Königreich Beiderland, Bagorien und Ambalor rieben sich die Augen. Denn auch wenn es in jüngster Zeit bereits mehrere solcher Himmelszeichen über dem fernen Halblingwald an der Ostseite des Langen Sees gegeben hatte, so war das, was in dieser Nacht geschah, mit dem vorausgegangenen magischen Wetterleuchten nicht vergleichbar.
Haraban konzentrierte seine magischen Sinne. Er versuchte, die Kräfte damit genauer zu erkunden, die sich da am fernen Himmel manifestierten. Kräfte, von denen er ahnte, dass sie nicht auf seiner Seite standen.
Aber es schien unmöglich, den Schleier zu lüften.
Selbst für ihn, den Immerwährenden Herrscher, für den doch eigentlich alles möglich sein sollte.
Er öffnete schließlich wieder die Augen. Links bemerkte er den Burggrafen von Waldhaven, der die Truppen befehligte und schon seit Tagen damit beschäftigt war, aus denen, die entkommen waren, neue Verbände zu formen, die sich dem Feind entgegenzustellen vermochten.
Rechts von ihm befand sich eine kleine, zierliche Gestalt mit großen Füßen, die allerdings in ledernen Stiefeln steckten. Es war Welbo, sein Kanzler. Der Halbling aus dem Stamm von Brado dem Flüchter war es gewohnt, geduldig abzuwarten, bis sein Herr und König ihn ansprach.
» Nun, Welbo, wie erklärt Ihr Euch die Erscheinungen am Himmel, über die wir uns in dieser Nacht wundern dürfen? « , fragte er Welbo. Das hölzern wirkende Gesicht des Waldkönigs verzog sich dabei maskenhaft.
» Nun, wer bin ich schon, dass ich mir erlauben könnte, meinem weisen Immerwährenden Herrscher Erklärungen für Erscheinungen anzubieten, die zweifellos durch Magie hervorgerufen wurden. Und von Magie verstehe ich nun einmal nichts. «
» Ihr seid bescheiden, Welbo. «
» Ganz, wie es sich für einen Kanzler des Immerwährenden Herrschers geziemt « , gab Welbo untertänigst zurück, und obwohl seine Größe kaum einer halben Mannlänge entsprach, machte er sich nun durch eine Verbeugung noch kleiner.
» Ich habe solche Blitze schon einmal gesehen « , sagte Haraban, wobei sich seine Hände zu Fäusten ballten. Sie knarrten dabei etwas, wie ein Schiffsmast im Wind. Dass solche Geräusche auftraten, wenn er die Hände allzu energisch zusammenballte, war noch nicht lange der Fall. Offenbar waren die Veränderungen seines Körpers in all den Jahrhunderten, seitdem Haraban lebensverlängernde Magie anwandte, noch nicht abgeschlossen. Eigentlich hatte er vor gut dreihundert Jahren geglaubt, dass dieser schleichende Prozess zu einem Abschluss gekommen war. Seitdem hatte er sich körperlich nicht mehr verändert, und eigentlich hatte er gehofft, dass dies auch so bleiben würde. Dass dies nicht der Fall war, machte ihm Angst. Ein Herrscher, der über alles in seinem Reich gebot– nur über die Veränderungen seiner selbst nicht.
Welbo hatte das Knarren der Faust auch bemerkt– und das nicht zum ersten Mal. Aber der getreue Kanzler pflegte dies wie immer zu ignorieren.
» Ihr sprecht von den Ereignissen um die Stadt der Blitze? « , schloss Welbo– denn nur darauf konnten sich
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