Der beiden Quitzows letzte Fahrten
Detlev nun allerdings geirrt, denn diesem war am Leben kein Leid geschehen, sondern der Druck hatte ihn nur betäubt. Es verging eine beträchtliche Zeit, ehe er durch eine unwillkürliche Bewegung kund gab, daß noch Leben in ihm vorhanden sei; sodann kehrte ihm allmälig die Besinnung zurück; die vergangenen Tage und Stunden mit all’ ihren Ereignissen gingen an seinem Gedächtnisse vorüber, und als er der letztverflossenen Augenblicke gedachte, sprang er plötzlich empor und eilte zu dem Lager Johanns. Als er dasselbe leer fand, stürzte er nach der Thür.
»Entflohen ist er; also war es keine Täuschung. Rasch nach dem Stalle!«
Er hatte seine Thatkraft vollständig wieder erlangt. Der Entflohene mußte verfolgt und eingeholt werden, und da war es vor allen Dingen nothwendig, nachzusehen, ob er sich des Pferdes zur Flucht bedient habe. Dasselbe war verschwunden.
»Er hat das Thier; nun wird er mir nicht entgehen!«
Er athmete erleichtert auf. Zu Fuße wäre es dem Entflohenen jedenfalls weniger schwer geworden, sich der Verfolgung zu entziehen, als zu Pferde, zumal es sich ohne alle Schwierigkeit denken und bestimmen ließ, nach welcher Richtung er davongeritten sei. Allerdings hatte er sich das bessere der beiden Thiere genommen, und da die andere Mähre zu schwach war, Dietrich’s Riesengestalt auf einem schnellen Ritte zu tragen, so zog dieser sich ohne Bedenken einen der stämmigen Ackergäule aus dem Stalle, welche in demselben standen, und schwang sich darauf, ohne sich erst die Mühe zu nehmen, ihn mit Sattel und Zaum zu versehen. Dann ging es zum Thore hinaus und im Galoppe den Weg zurück, welchen er am vorigen Abende mit dem Prinzen gekommen war.
Gar vielerlei Gedanken wirbelten sich während dieses Rittes in seinem Kopfe herum. War es nicht besser, den Flüchtling fahren zu lassen und nur auf die eigene Sicherheit zu denken? Welche Vortheile waren es denn eigentlich, die ihm aus dem Umstande erwachsen konnten, daß er den Sohn seines Todfeindes in der Gewalt hatte? Waren diese Vortheile nicht vielleicht mit Mühen und Nachtheilen verbunden, von denen sie vollständig aufgewogen wurden? Es wäre hier Nutzen und Schaden schon früher sorgfältig abzuwägen gewesen, jetzt aber kam jede ruhigere und bessere Einsicht zu spät, denn selbst durch die Befreiung des Prinzen wurde nichts ungeschehen gemacht, während mit ihr alle Trümpfe verloren gingen, auf deren Wirkung Dietrich gerechnet und sich verlassen hatte. Die Gefangennahme Johanns war ein Werk des Augenblicks, eine That der Nothwehr gewesen. War sie unbesonnener Weise zu einer gewaltsamen Entführung ausgedehnt worden, so durfte das einmal begonnene Werk auch nicht aufgegeben, sondern es mußte zu seiner Vollendung gebracht werden. Es war ein unglücklicher Umstand, daß diese Vollendung noch im letzten Augenblicke durch die Flucht Johanns in Frage gestellt wurde, aber gerade darum mußte Alles aufgeboten werden, ihn einzuholen und sich seiner wieder bemächtigen zu können. Ob das aber auch gelingen werde? Das frühere Glück war ihm abhold geworden; feindselige Mächte stellten sich hindernd all’ seinem Thun und Beginnen entgegen, und wenn er die Ereignisse der letzten Zeit überdachte, so wollte ihm der Glaube an sich und sein gutes Geschick verloren gehen. Doch, nein, nein; ist das Glück launenhaft, so muß es gezwungen, mit fester Hand gepackt und gehalten werden; nur dem Feigen, dem Muthlosen kann es entgehen. Er grub dem Pferde die Fersen in die Weichen, daß es laut aufstöhnte und in weiten Sätzen mit ihm davonjagte.
Bei solcher Eile kam er schnell vorwärts; Strecke auf Strecke ließ er hinter sich zurück; es war anzunehmen, daß er dem Flüchtigen mit jedem Schritte näher rücke, und bei jeder Biegung des Weges blickte er erwartend empor, ob er ihn noch nicht wahrnehmen könne.
Da endlich sah er einen Reiter vor sich auftauchen; aber derselbe kam ihm entgegen, es konnte also Johann nicht sein. Es war eine breite, kräftige Figur, die auf einem großen, kopfhängerischen Klepper langsam dahergetrollt kam. Kurz vor Dietrich blieb der Fremde halten.
»Gott grüße Euch, Mann,« rief er, Quitzow mit einem musternden Blicke betrachtend. »Woher des Weges, so Morgens in der Frühe?«
»Von Daheim,« antwortete dieser kurz. »Ist Euch nicht ein junger Herr begegnet, der auf einem flotten Fuchsen saß?«
Bei dem Klange dieser Stimme horchte der Gefragte stutzend auf, und sein Auge richtete sich schärfer auf Dietrich.
»Meinet
Weitere Kostenlose Bücher