Der Benedict Clan 03 - Die Millionenerbin
hatte; sie hatte nie jemanden gehabt, um den sie sich hätte sorgen oder den sie hätte beschützen müssen. Davon abgesehen dachte natürlich die Mehrzahl der Leute, die sie kannte, zuerst an das eigene Wohlergehen. Jede altruistische Regung wurde in bare Münze umgewandelt; und keiner von ihnen käme je auf die Idee, für einen anderen Menschen seine eigene Bequemlichkeit zu opfern.
„Vielleicht wäre es ja am besten", sagte sie, wobei sie nachdenklich in ihre Tasse schaute, „wenn ich mit Ihnen mitfahre, in Ihr Gefängnis. Nach allem, was passiert ist."
Er hüllte sich so lange in Schweigen, dass sie einen Blick auf ihn riskierte. Zwischen seinen Augenbrauen stand eine steile Falte. Als er ihrem Blick begegnete, sagte er: „Ich glaube nicht. Davon abgesehen, bin ich ohnehin heute Nachmittag oder vielleicht sogar schon früher wieder zurück."
Nach diesen Worten drehte er sich um und ging zur Tür. Nachdem er das Zimmer zur Hälfte durchquert hatte, sagte sie: „Roan?"
Er blieb stehen und drehte sich langsam wieder zu ihr um.
„Warum tun Sie das? Ich meine, warum nehmen Sie mich in Ihr Haus auf und kümmern sich um mich?"
„Ich dachte, dieses Thema wäre erledigt."
„Ach ja? Ich erinnere mich, dass Sie etwas von ungeeigneten Unterbringungsmöglichkeiten im Gefängnis gesagt haben und von einem aufgebrachten Krankenhausdirektor, aber das erklärt es nicht wirklich. So etwas würden nicht viele Leute tun."
„Es ist nicht der Rede wert."
„Dann nehmen Sie also alle Leute auf, die Sie anschießen, ist es das?"
Er presste die Lippen aufeinander. „So viele waren das nicht."
„Aber ich bin nicht die Erste. Warum also tun Sie das?"
„Vielleicht, weil ich mich verantwortlich fühle. Vielleicht, weil ich mir keine Vorwürfe machen will, falls sich herausstellen sollte, dass Sie die Wahrheit sagen. Vielleicht..."
„Was?" Sie umklammerte ihre Kaffeetasse so fest, dass ihre Fingerspitzen taub wurden, aber sie konnte sich nicht dazu bringen loszulassen.
„Vielleicht lasse ich mich ja von einer Jammergeschichte und einem hübschen Gesicht zum Narren halten."
Sie musste unwillkürlich lachen. Die Vorstellung, dass er in irgendeiner Weise weich sein könnte, war schlicht absurd. „Ziemlich unwahrscheinlich."
„Schön, und was denken Sie?" fragte er, wobei sich seine grauen Augen verengten. „Es gefällt mir eben, Sie in meinem Haus als Gefangene zu halten. Ich warte nur darauf, dass es Ihnen wieder gut geht, bevor ich Ihnen genau sage, was ich mit Ihnen zu tun gedenke."
Irgendetwas in seiner Stimme ließ sie erschauern. Was hatte Cal gesagt? Roan ist das Gesetz in Tunica Parish - ja, das war es. Aber das hatte er doch nicht etwa in übertragenem Sinn gemeint, oder?
„Ganz bestimmt", sagte sie spöttisch. „Höchstwahrscheinlich bekommen Sie so mehr."
Sein Lächeln war humorlos. „Warten Sie es ab, dann sehen Sie es, okay?"
Nach diesen Worten drehte er sich wieder um und ging hinaus. Die Tür fiel fast lautlos hinter ihm ins Schloss.
Torys Verwirrung hielt an, während sie über die Unterhaltung von eben und die Ereignisse der letzten Nacht nachdachte. Irgendetwas war da, irgendein Schnipsel Wahrheit, aber sie bekam ihn nicht zu fassen.
Sie konnte nicht glauben, dass sich Roan Benedict wirklich von ihr angezogen fühlte, von einer Frau, die offensichtlich alles war, was er verabscheute. Sollte er je wieder heiraten, würde es irgendein rosiges Landmädel sein, das in der Sonntagsschule unterrichtete und zehn verschiedene Rezepte für Hackbraten kannte. Er würde keine Verwendung haben für ein verwirrtes armes reiches Mädchen, das sich nicht entscheiden konnte, wer es war und was es wollte, auch wenn es keinen Gedächtnisverlust vortäuschte, und das studiert hatte, wie man auf ausgefallenste Weise Cordon Bleu zubereitete, um sich mit dem Küchenchef seines Stiefvaters unterhalten zu können.
Nein, Roans einziges Ziel war es, sie so gut wie nur möglich im Auge zu behalten. Es würde bei seinen Wählern nicht gut ankommen, wenn ihm eine Gefangene abhanden kam, vor allem wenn sie floh oder aus seinem eigenen Haus entführt wurde. Er traute ihr nicht über den Weg und glaubte ihr ihre Geschichte nicht. Doch solange sie unter seinem Dach lebte, würde er ihr gegenüber aufmerksam sein, allerdings nur, um sie davon abzuhalten, ihm Schwierigkeiten zu machen, indem sie zu fliehen versuchte.
Aber was spielten seine Gründe für eine Rolle? Im Endergebnis lief alles auf dasselbe hinaus - im
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