Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
will, ist, dass diese Situation sehr heikel ist und ich mich in einem knappen Zeitrahmen bewege. Über ein wenig Kooperation würde ich mich sehr freuen."
„Sie wollen mich wirklich außer Landes schmuggeln." Das war für sie unvorstellbar. Vielleicht lag es daran, dass sie sich daran gewöhnt hatte, für niemanden mehr von Bedeutung zu sein.
„Wenn es sein muss. Unser Geheimdienst denkt, dass Ihr Stiefbruder Ihre Ausreise verhindern will. Angesichts seiner Position im Oberkommando der Taliban könnte er das vermutlich auch erreichen."
„Geheimdienst?"
„Mir hat ein guter Freund geholfen, der früher beim Diplomatic Security Service gearbeitet hat und inzwischen einen eigenen Sicherheitsdienst betreibt. Außerdem hat sich John bis zuletzt in die Operation gekniet."
Sie schüttelte den Kopf. „So ein Aufwand."
„Sie sind Johns Tochter, sein ganzer Stolz. Er hat jedem, der sie sehen wollte, Fotos von Ihnen gezeigt. Als er keine aktuellen Fotos mehr von Ihnen bekam, breitete er die alten Aufnahmen auf dem Tisch aus und sprach zu ihnen, während er sich betrank."
„Hören Sie auf damit!"
Er zuckte verstimmt mit den Schultern und schwieg längere Zeit, bis er fortfuhr: „Ich wollte Ihnen nur sagen, warum ich hier bin und wieso ich Sie kenne. Sind Sie sicher, dass Sie noch nie von mir gehört haben?"
Sie wollte eben bejahen, als sie auf das Bruchstück einer Erinnerung stieß. „Ich ... es könnte sein, dass die Leute so hießen, denen das Camp an diesem See in Louisiana gehörte, an dem wir einen Sommer verbracht haben ..."
„Volltreffer, Baby." Seine Zähne blitzten weiß auf, als er einen Moment lang breit lächelte. „John hatte sich im Camp eingemietet. Er hatte kein richtiges Zuhause, nur ein Motelzimmer, wenn er zwischen Jobs auf irgendwelchen Ölfeldern für kurze Zeit im Land war."
„Es war wunderschön da unten. Er sprach von seinem jungen Freund, der ihm den Platz vermietet hatte, aber noch irgendwo in Übersee war. Der junge Freund ... das warst du! Er nannte dich immer..."
„Diesen verdammten Benedict-Jungen, richtig?"
Der amüsierte Tonfall in seiner Stimme bei dieser Selbstherabsetzung überraschte sie. Sie war es nicht gewöhnt, dass Männer über sich selbst lachen konnten. „Ich glaube, er wollte damit nur darüber hinwegtäuschen, wie sehr er dich gemocht hat."
Er wirkte fast verlegen. „Ich hatte damals gerade das College hinter mir und war ein völlig ungestümer Kerl. John hat auf mich aufgepasst, dass ich mir keine Schwierigkeiten einhandelte, als ich zum ersten Mal in die weite Welt hinauszog. Oder besser gesagt: er versuchte es."
„Das heißt, du fühlst dich verpflichtet und bist deshalb hier?"
„So würde ich das nicht auslegen."
Seine tiefe Stimme hatte etwas Schleppendes, als wolle er etwas verbergen, was starke Gefühlsregungen auslöste, was er jedoch lieber für sich behalten wollte. Das begann, ihre Neugier zu wecken, was wiederum eine ungewöhnliche Empfindung war, da sie sich angewöhnt hatte, jegliches Interesse an Männern, an ihren Gedanken und Gefühlen, zu unterdrücken. Sie war sich nicht sicher, ob es ihr gefiel, zumal sie Wade Benedict nach diesem Abend vermutlich nie wiedersehen würde.
„Was ich vorhin sagen wollte", fuhr er schließlich fort. „Ich habe zwei Brüder, die beide verheiratet sind und Kinder haben, dazu drei oder vier engere Cousins und ein paar Dutzend mehr, die ich gut genug leiden kann, um sie zu meiner Verwandtschaft zu zählen. Wenn dir die Familie fehlt, dann findest du bei mir rund um Turn-Coupe, Louisiana, mehr als genug. Du bist ja nicht gezwungen, dich da niederzulassen. Wenn du erst mal wieder Fuß gefasst hast, kannst du machen, was du willst, und hingehen, wohin du möchtest."
Es klang so überzeugend, es klang exakt nach dem, was sie sich vor langer Zeit gewünscht hatte. Doch jetzt war das nicht mehr möglich. „Vielen Dank, aber ich habe ja schon versucht zu sagen, dass ich nicht mitgehen kann."
„Du weißt nicht, was du da sagst."
„Ach, aber du weißt es? Du bist so überlegen und weise, dass du viel besser beurteilen kannst, was für mich das Beste ist, als ich das kann, weil ich ja nur eine Frau bin, nicht wahr? Geh und ..."
Er streckte seine Hand aus und legte seine Fingerspitzen auf den Schal, den sie sich noch immer vor das Gesicht hielt. Es erstaunte sie, wie präzise er unter dem Stoff ihre Lippen fand. Überrascht hielt sie inne und hörte, was ihm aufgefallen war: das Knarren der Scharniere an
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