Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
sich seiner Sache so sehr verschrieben hat?"
„Nicht wirklich." Treena seufzte. „Ich liebe meinen Bruder. Er war ein reizendes Kind, wirklich reizend. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als wir jung waren und wir beide bei unseren Großeltern lebten." Ein Rascheln war zu hören, als hätte ihre Stiefschwester sich gegen die Tür gelehnt. „Ich dachte, ich würde niemals über das reden, was dann kam ... über diese Sache, die in ihm diesen Hass und diese Paranoia weckte. Jetzt muss ich, weil ich fürchte, dass er dich umbringen wird, wenn der Ehevertrag unterzeichnet und er dein Herr ist. Nichts wird ihn dann noch aufhalten, Chloe, nichts."
„Ich weiß nicht so recht, was du mir sagen willst." Chloe drückte die Stirn gegen die Tür und lauschte intensiv.
„Er war ein so hübscher Junge, als unser Großvater ihn zu dieser Schule schickte. So große, leuchtende Augen, ein kräftiger Körper und ein zärtliches Lächeln. Einige der Lehrer sind tugendhafte Männer, aber andere ... andere sind es nicht. Diejenigen, die am verdorbensten sind, machen sich einen Spaß daraus, Jungs wie meinen Bruder dazu zu bringen, die Liebe der Frauen und die Macht zu verabscheuen, die diese Liebe über einen Mann haben kann. Es macht ihnen Vergnügen, sie auf eine Weise zu unterweisen, die Frauen überflüssig macht."
„Willst du damit sagen, dass er Männer liebt?"
„Nein, nicht in der Art, wie du das meinst. Aber er besitzt keine Zärtlichkeit mehr. Er kann es nicht zulassen, dass eine Frau ihn liebt, weil er entsetzliche Angst hat, dass sie seine Macht untergraben könnte. So wurde es ihm von den Männern beigebracht, die im Verlangen nach einer Frau die Gefahr sehen, dass ihr eifersüchtiger Gott zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt bekommen könnte. Und er wird von Zorn aufgefressen, der gegen alle gerichtet ist, die ihm wehtun, auch gegen seinen Großvater, der zugelassen hatte, was mit ihm geschah. Doch vor allem richtet sich der Zorn gegen seinen Vater, der ihn hätte beschützen sollen. Stattdessen heiratete der in den Vereinigten Staaten eine Frau, die Ahmad nur hassen konnte."
Es war keine erfreuliche Schilderung, aber auf eine erschreckende Weise ergab sie einen Sinn. „Darum hat dein Vater so schnell nachgegeben und zugelassen, dass er das Sagen hat."
„Ja. Aus Schuld und Kummer."
„Und warum hat er meine Mutter gehasst?"
„Sie war für ihn in zweifacher Hinsicht ein Feind. Sie war eine Frau, und sie stammte aus dem Westen. Ein ideales Ziel für seine Wut. Die Mullahs zu hassen, wäre ein Sakrileg. Seinen Vater und seinen Großvater zu hassen, die ihm in ihrer Art viel zu ähnlich waren, hätte bedeutet, sich selbst zu hassen. Er brauchte jemanden, auf den er all seinen Zorn richten konnte."
Chloe schüttelte den Kopf, während sie begann, Mitgefühl mit ihm zu haben. Zum ersten Mal begann sie im Ansatz zu verstehen, warum sie ein oder zwei Mal in Ahmads Gesicht Schmerz gesehen hatte. „Die Menschen können nichts für die Dinge, die ihnen in der Kindheit angetan werden", sagte sie langsam. „Aber sie können etwas dafür, was sie später daraus machen."
„Ahmad hätte sich vielleicht anders entschieden, wenn das alles gewesen wäre. Doch da ist auch noch der zweite Verrat unseres Vaters."
„Was meinst du damit?" Ihr Stiefvater Imam war ein ehrbarer Mann, Chloe hätte darauf schwören können. Etwas anderes konnte sie sich einfach nicht vorstellen.
„Er ist nicht Mitglied der Taliban-Miliz. Er vertritt weder ihre Politik noch ihre Methoden, sein Herz gehört nicht ihrem
Kampf. Als deine Mutter getötet wurde, desertierte er und lief zu den Oppositionskräften in den Bergen über."
„Er kämpft gegen die Taliban?"
„Und gegen seinen eigenen Sohn."
Chloe konnte sich vorstellen, welch schwerer Schlag das für Ahmad sein musste, zumindest jedoch für seinen Stolz. „Warum hat mir das noch nie jemand gesagt?"
„Meinem Bruder wäre es am liebsten, wenn es niemand wüsste. Aber was ist mit deiner Heirat? Du darfst sie nicht stattfinden lassen!"
Was sollte sie machen? Wenn es ihr irgendwie gelingen sollte, trotzdem weiterzuunterrichten, würde sie sich dann überwinden können, Ahmad als ihren Ehemann zu akzeptieren - mit allem Intimen, das damit verbunden war? Sie wusste es beim besten Willen nicht.
„Ich habe wohl keine andere Wahl", antwortete sie und starrte in die Dunkelheit.
„Auch wenn er vorhat, dich zu töten?"
„Er kann mich doch nicht so sehr hassen, oder? Ich habe ihm nichts
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