Der Benedict Clan 05 - Fremder Feind
Klang seiner Stimme gefiel ihr gar nicht, da er entweder von einem zu großen Blutverlust leichtsinnig geworden war oder aber in eine Art Schockzustand verfiel. „Das ist doch gar nichts", wehrte sie ab, dann legte sie mit einer schroffen Bewegung ihren Arm um seine Taille und drehte sich mit ihm in Richtung des Endes der Gasse, wo der nutzlose Volvo stand. „Komm, wir müssen einen Unterschlupf finden."
„Hast du einen Plan?"
„Ich weiß, wo ich wohl Hilfe finden werde, aber es ist einige Blocks weit entfernt. Meinst du, du schaffst das?" Er war zu groß, als dass sie ihn wirklich gut hätte stützen können, doch er machte den Eindruck, dass er sich aufrecht halten konnte. Als er seinen Arm bewegte, den sie sich über ihre Schulter gelegt hatte, berührten seine Finger leicht die Wölbung ihrer Brust.
„Ich schaffe es, wenn du es schaffst."
Sie hatte das Gefühl, dass er ein wenig amüsiert klang, als finde er es irgendwie witzig, dass sie verärgert war oder dass sie versuchte, bei der Rettungsoperation die Kontrolle an sich zu nehmen. Sie konnte daran überhaupt nichts witzig finden. Er musste so schnell wie möglich medizinisch versorgt werden.
Chloe führte den Amerikaner an dem Volvo vorbei, ohne ins Wageninnere zu sehen. Sie gingen einen Block weit, wechselten dann hinüber zum nächsten Block, von wo aus sie in einen schmalen Seitenweg einbogen, der durch den Gemüsegarten eines älteren Ehepaars führte, das sie kannte, dann an einem Lagerhaus vorbei, in dem Wolle und Lammfelle aufbewahrt wurden. Schließlich erreichten sie einen breiten Boulevard, der von Anwesen gesäumt wurde, deren große Häuser vom Schatten der Obstbäume umgeben waren und um die herum Mauern aus Lehm oder Stein oder sogar Metallzäune standen, die noch aus viktorianischer Zeit stammten. Sie befanden sich in einem vornehmen Viertel, das in seiner abgeschirmten Existenz ruhig und reserviert wirkte. Lediglich die Jasminranken und Orangenbäume teilten ihren Duft mit den Passanten.
Chloe kam nur langsam voran, da sie mit Wade von einem Schatten zum nächsten stolperte und bei jedem Geräusch und bei jedem vorbeifahrenden Wagen stehen blieb. Auch an jeder Querstraße sah sie sich erst genau um, ehe sie mit ihm auf die andere Seite wechselte. Diese Nacht kam ihr allmählich unwirklich vor, als stehe sie selbst ebenfalls unter Schock. Dass sie jetzt von einem verletzten Mann abhängig war, der sich schwer auf sie stützen musste, war so unglaublich, dass sie Mühe hatte, das zu begreifen. Sie war sich nicht sicher, wohin ihr Weg sie führte und was sie machen würde, wenn sie am Ziel angekommen war. Sie besaß nichts außer der Kleidung, die sie am Leib trug. Sie wusste nur, dass sie weitergehen mussten, dass sie nicht stehen bleiben durften, weil das für sie das Ende hätte bedeuten können.
Vor ihnen lag eine weitere breite Kreuzung. Früher einmal hatte hier eine Ampel ihren Dienst verrichtet, doch die baumelte nun nutzlos an den Drahtseilen. Als sie sich der Kreuzung näherten, bemerkte Chloe ein Scheinwerferpaar. Sie kniff die Augen zusammen und schaute in die Richtung des Lichts, dann erkannte sie, dass es sich um eine Polizeipatrouille handelte, da der Wagen auffällig langsam fuhr.
Sie kehrte in die Richtung um, aus der sie gekommen waren, und suchte rasch nach einem Versteck. Nichts bot sich an, zumindest nichts, was sie noch rechtzeitig hätten erreichen können. Die nächste Gasse lag einen ganzen Block hinter ihnen. Ein hoher Eisenzaun auf einer niedrigen Steinmauer versperrte ihnen den Weg zum nächsten schützenden Gebüsch. Ihr musste schnellstens etwas einfallen.
Es gab nur einen Grund, warum ein Mann und eine Frau sich trotz der Ausgangssperre auf der Straße aufhalten würden. Es war verboten und unglaublich unzüchtig, wurde aber vom männlichen Beamtentum eher akzeptiert als die Tatsache, dass ein Mann und eine Frau nachts auf der Straße angetroffen wurden, ohne dass sie verwandt oder verheiratet waren.
Sie zog Wade in einen der tieferen Schatten und drückte ihn mit dem Rücken gegen den Zaun. Dann nahm sie den Saum ihrer Burqa und ihres Rocks, hob beide bis zur Taille hoch und presste sich dann vom Busen bis zu den Knien gegen Wade. Angetrieben vom Motorengeräusch des Polizeiwagens, der sich näherte, hob sie ihre Arme hinter seinen Kopf und zog ihn so weit nach vorn, dass sein bartloses Gesicht in den Falten des blauen Stoffs verschwand, der um ihren Hals lag.
Das Licht der Scheinwerfer erfasste die
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