Der Benedict Clan - Zwischen Hoffen und Bangen
nimmt allerdings außer ihren Müttern und vielleicht ihren Großmüttern niemand Notiz. Ich meine, das ist schon eine raue Gegend dort, mit den Crackschuppen an jeder Ecke, wo Schlägereien und wilde Schießereien an der Tagesordnung sind und es schon eine ruhige Samstagnacht ist, wenn nicht mindestens ein halbes Dutzend Leute mit Stichverletzungen in die Notaufnahme eingeliefert werden. Wem fällt da schon auf, dass ein paar verwahrloste Jugendliche verschwunden sind?“
„Es sollte aber auffallen“, sagte Clay mit gepresster Stimme.
„Damit wollte ich ja auch nicht sagen, dass es so richtig ist; es war nur eine Feststellung.“
„Du glaubst, dass sich jemand an den Todesopfern bereichert?“
Roan schaute Clay eine ganze Weile an. „Willst du wissen, was ich glaube? Ich kann mir vorstellen, dass es eine Zeit lang so war. Dass man die Toten eingesammelt hat, wenn sich eine Bande wieder einmal einen Kampf geliefert hatte, weil man die Organe gebrauchen konnte. Aber dann brauchte vielleicht irgendwann ein Patient ganz dringend ein Organ und konnte nicht mehr warten, bis zufällig jemand starb. Deshalb ging diese Person, die bisher nur aus den Organen gerade Verstorbener Kapital geschlagen hatte, dazu über, die Sache gleich selbst zu erledigen.“
„Puh“, sagte Clay und atmete laut aus. Dann runzelte er die Stirn. „Die meisten dieser Jugendlichen, von denen wir sprechen, sind doch keine Weißen, oder?“
„In der Regel eher seltener, aber den Leuten, die verzweifelt auf ein Spenderorgan warten, ist das egal“, erklärte Roan.
„Natürlich, aber jeder, der sich auf so etwas einlässt, muss sich darüber im Klaren sein, dass die Gefahr, das verpflanzte Organ könnte vom eigenen Körper abgestoßen werden, größer ist, wenn der Spender einer anderen ethnischen Gruppe angehört. Das hat nichts mit Diskriminierung zu tun. Es funktioniert nur einfach nicht. Deshalb bringt Gower seine Patienten in Lebensgefahr, wenn er so etwas tut.“
„Hast wohl im Internet recherchiert, was?“
„So ungefähr“, stimmte Clay zu.
„Kann sein, dass es ihm egal ist. Davon abgesehen können tote Patienten nicht mehr klagen, und ihre Familien, die in die illegalen Aktivitäten verwickelt waren, können es auch nicht.“
„Deshalb wird mir ganz schwummerig, wenn ich nur daran denke, wie nah er Lainey mit seinem Skalpell gekommen ist“, sagte Clay.
Roan gab einen grimmigen Laut der Zustimmung von sich. „Zumindest in dieser Hinsicht besteht keine Gefahr mehr.“
„Heißt das, dass die Ermittlungen eingeleitet sind?“
„Richtig. Die Polizei von Baton Rouge will heute Vormittag in der Klinik eine Hausdurchsuchung durchführen.“
„Ohne dich?“ fragte Clay spöttisch erstaunt.
„Nicht ganz. Baton Rouge ist zwar nicht mein Zuständigkeitsbereich, aber man hat mich eingeladen teilzunehmen, weil der Hinweis aus meinem Büro kam. Der Hubschrauber wartet bereits. Ich bin praktisch schon unterwegs.“
Clay war nicht sonderlich überrascht. Es gab nicht einen einzigen Benedict unter der Sonne, der nicht fest davon überzeugt gewesen wäre, dass er seine Sache besser machte als jeder andere – oder der es nicht gehasst hätte, von irgendetwas Aufregendem ausgeschlossen zu werden.
„Lass dich von mir nicht aufhalten“, meinte Clay.
„Keine Angst, das tue ich auch nicht. Ach, und du kannst Janna nach dem Mittagessen davon erzählen. Bis dahin müsste es eigentlich vorbei sein.“
„Willst du damit unterstellen, dass sie versuchen könnte, Dr. Gower zu warnen, wenn sie es früher hört?“
„Wer weiß? Aber es ist besser, kein Risiko einzugehen.“
Clay zog einen trockenen Grashalm aus seinen Schnürsenkeln. „Na gut, vielleicht. Sagst du mir Bescheid, wie es gelaufen ist?“
„Sicher. Ich will schließlich auch, dass sie die Klinik dichtmachen, egal, ob der gute Doktor in den Handel mit illegalen Organen verstrickt ist oder nicht.“
„Ich weiß nicht, was Janna dazu sagen wird. Nichts Gutes, kann ich mir vorstellen, vor allem, wenn sie herausfindet, dass ich mitgeholfen habe, diese Razzia in die Wege zu leiten. Sie glaubt, dass Lainey sterben wird, weißt du.“
„Aber das wird sie doch nicht, oder?“
Entschlossen presste Clay die Lippen zusammen. „Nicht, solange ich etwas dagegen tun kann.“
„Und? Kannst du?“
Das war eine gute Frage. „Ich arbeite daran.“
Nachdem Clay Roans Büro im Gerichtsgebäude verlassen hatte, ging er in den Blumen- und Geschenkeladen, der auf der anderen
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