Der Berg der Sehnsucht: Big Sky Mountain (German Edition)
gesehen, wie Hutch ein wenig erschrocken feststellen musste. Aber da war auch noch ein gelassener selbstsicherer Ausdruck in seinen Augen, und der machte den Unterschied aus. Slade hatte kein Problem damit, er selbst zu sein. Er nahm das Leben, wie es kam, doch ihr Vater hatte das Leben als einen konstanten Kampf angesehen, etwas, das überlebt und besiegt werden musste. Es war dieses Ringen gewesen, das alles aufgebraucht hatte, was er zu geben hatte.
Der formale Teil der Taufe war vorüber, die kleine, aber begeisterte Menge verstreute sich in alle Himmelsrichtungen, vor allem aber in Richtung des Pioneer Cemetery, wo ein Picknick stattfinden würde.
Hutch ging vor den anderen rüber zum Friedhof und fand sich schließlich vor dem Grab seines Vaters wieder. Es gab nichts mehr zu klären, er hatte ein für alle Mal seinen Frieden mit John Carmody geschlossen, als er das Monument oben auf der Bergwiese Stein für Stein und Schmerz für Schmerz abgetragen hatte.
Alles war jetzt verstreut, so wie diese Steine.
Dennoch erschien es ihm nur richtig, einen Moment lang innezuhalten und wortlos seinem Vater Respekt zu zollen, denn trotz allem hatte er seinen Vater geliebt und die ganze Zeit über gewusst, dass sein alter Herr ihm gegeben hatte, was er ihm hatte geben können.
Nach und nach trafen die anderen ein und bevölkerten die Picknicktische, die Kinder rannten umher und spielten, während die Erwachsenen sich im Schatten der Bäume unterhielten.
Aus dem Augenwinkel sah Hutch, dass Slade sich ihm näherte. Er hatte sein Jackett ausgezogen und die Hemdsärmel hochgekrempelt. Neben Hutch blieb er schließlich stehen.
„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er mit rauer Stimme.
„Alles bestens“, antwortete er und sprach nur die Wahrheit aus. „Und bei dir?“
„Könnte nicht besser gehen. Ich habe alles, was sich ein Mann wünschen kann, und noch ein bisschen mehr.“
Hutch betrachtete den Grabstein, auf dem der Name ihres Vaters sowie sein Geburts- und das Sterbedatum geschrieben standen. Es war schwer vorstellbar, dass das ganze Leben eines Menschen auf ein paar Buchstaben und Ziffern reduziert werden konnte, aber genau das war hier geschehen. John Carmody war zur Welt gekommen, hatte sein Leben gelebt und war dann gestorben. Dabei gab es noch so viel aus der Zeit vor ihrer Geburt, dass sie niemals über ihn erfahren würden.
„Er hätte dich früher anerkennen sollen, Slade“, sagte Hutch, ohne seinen Bruder anzusehen. „Und er hätte dich besser behandeln sollen.“
Eine Zeit lang dachte Slade darüber nach, dann erwiderte er: „Er hat mir das Leben geschenkt. Vielleicht war er zu mehr nicht fähig gewesen. Außerdem wusste er, dass Callie gut auf mich aufpassen würde.“
Hutch seufzte leise, und Slade legte eine Hand auf seine Schulter. „Da drüben unter den Bäumen ist eine Party im Gang“, sagte er. „Wie wär‘s, wenn du dich dazusetzt, Hutch?“
Als er den Kopf hob und in die angedeutete Richtung sah, entdeckte er Madison, die ein fröhlich gepunktetes Kleid trug und mit ausgebreiteten Armen auf ihn zugelaufen kam.
Er schnappte sie, als sie ihn erreicht hatte, und nahm sie hoch, dann trug er sie zurück zu den anderen Partygästen. Slade ging neben ihm her. Madison redete wie ein Wasserfall und berichtete ihm, wie sehr sie ihn vermisst hatte und dass ihre Mommy ihn auch vermisst hatte und dass sie wieder auf Ruffles reiten wollte, weil sie lernen wollte, wie man das mit der Flagge machte, damit sie beim Rodeo mitmachen konnte und damit sie auch beim Tonnenreiten mitmachen konnte, wenn sie erst mal älter war, und …
Kendra bemerkte ihn und löste sich aus der Gruppe, in der sie gestanden hatte. Gleichzeitig wurde Madison auf Shea aufmerksam und begann zu strampeln, damit er sie absetzte. Sofort lief sie zu dem älteren Mädchen, das sie kichernd begrüßte.
Schließlich standen sich Hutch und Kendra mit vielleicht einem Meter Abstand gegenüber. Das hohe Gras wiegte sich leicht in der schwachen Brise, die über das Land wehte.
Da er zu dem Schluss gekommen war, dass diese Unterhaltung schon lange überfällig war, räusperte sich Hutch und machte einen Schritt auf sie zu. Dann fasste er sie an den Ellbogen und sah ihr in die Augen, die klar und grün leuchteten.
„Ich liebe dich, Kendra“, sagte er mit belegt klingender Stimme, da seine Gefühle ihn fast zu überwältigen drohten. „Es ist vielleicht zu früh, das zu sagen, aber … wer weiß, vielleicht ist auch schon
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